Retrograde Amnesie nach Resektion eines Medulloblastoms aus dem 4. Ventrikel

Hintergrund/Ziel: Bei Schädigungen des Gehirns und der Gedächtnisfunktionen kommt es überwiegend zu Beeinträchtigungen des Neuzeitgedächtnisses. Wir präsentieren den ungewöhnlichen Fall einer vollständigen Löschung des Altgedächtnisses bei sehr guterhaltener Fähigkeit zum Neulernen. Methode: Fallbeschreibung mit Anamnese, Untersuchungsbefund und ausführlicher neuropsychologischer Testung. Ergebnis: Bei dem 29-jährigen Patienten ist aus der Vorgeschichte ein Hodencellcarcinom und aus der Kindheit eine Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom (ADHS) bemerkenswert. Innerhalb von Wochen entwickelte er zunehmende Gleichgewichtsstörungen, Kopfschmerzen und intermittierende Sehstörungen. Es wurde ein Medulloblastom im vierten Ventrikel diagnostiziert und kurz darauf vollständig reseziert. Postoperativ hatte er einen vollständigen retrograden Gedächtnisverlust. Er erkannte seine Freunde nicht mehr, seine Großmutter nicht, erkannte sich auf Bilder aus seiner Jugend nicht. Namen von Bekannten, Freunden und ehemaligen Kollegen wusste er nicht mehr. Er wusste nicht, welchen Beruf er erlernt und ausgeübt hatte. Er konnte sich nicht erinnern, dass Angeln sein Hobby gewesen war und wusste nicht, wozu man eine Angel gebrauchen konnte. Beim Benennen von Gegenständen bestanden grosse Unsicherheiten. Nur seine Eltern und seinen Bruder erkannte er. Er schilderte die Situation so, als ob er in einem weißen Raum stände und hinter ihm die Tür zugefallen sei und er nicht wusste, wo er hergekommen sei. Merkfähigkeitstests fielen normgerecht oder deutlich überdurchschnittlich aus. Schlussfolgerung: Aus dem MRT bzw. der zentralen Läsion ist keine plausible Erklärung für das Phänomen ersichtlich. In der Diskussion wird Bezug genommen auf die wenigen anderen Patienten mit retrograder Amnesie bei erhaltener anterograder Merkfähigkeit und insbesondere die psychogene Amnesie diskutiert.