Klinische Neurophysiologie 2012; 43 - WV004
DOI: 10.1055/s-0032-1301549

Kritische Auseinandersetzung mit den neuen diagnostischen Kriterien zur Multiplen Sklerose: Liquorchemischer Grundbefund–MS

H Tumani 1, M Otto 1
  • 1Neurologische Uniklinik Ulm, Ulm

Die aktuellen Kriterien (2010– McDonald-Kriterien) verfolgen das Ziel, die Diagnose der Multiplen Sklerose (MS) noch früher zu ermöglichen. Die Kriterien basieren im Wesentlichen auf die MRT Evidenz von Dissemination in Zeit und Raum und vereinfachen dabei die Diagnosestellung, indem mit weniger MR-Untersuchungen eine Frühdiagnose ermöglicht wird. Die Autoren (Pohlmann et al. 2011) sehen die Notwendigkeit einer Liquoruntersuchung für die Diagnosestellung einer schubförmigen MS für nicht mehr gegeben, da der Nachweis der räumlichen Disseminierung allein durch das MRT erfüllt sei.

Besonders bei dem Ausschluss von Differentialdiagnosen kommt der Liquordiagnostik eine große Bedeutung zu, da demyelinisierende Läsionen ein breites ätiologisches Spektrum aufweisen können. Einen entzündlichen ZNS-Prozeß auszuschließen bzw. zu beweisen kann gegenwärtig nur mit der Liquordiagnostik und nicht mittels einer MRT-Untersuchung erfolgen. Zahlreiche Studien bei Patienten mit klinisch-isoliertem Syndrom zeigen, dass das Vorliegen von intrathekal-produzierten oligoklonalen Banden das Risiko einer Konversion in Multiple Sklerose unabhängig von dem MRT-Befund verdoppelt. Weiterhin zeigen neuere Studien, dass der Nachweis einer MRZ-Reaktion im Vergleich zu anderen Liquorparametern und MRT-Parametern mit einer noch höheren positiven Prädiktivität einhergeht (Tumani et al. 2011). Insbesondere bei der Differenzierung von MS und Neuromyelitis optica mit negativen Aquaporin–4-Antikörper-Status kann die MRZ-Reaktion hilfreich sein.

Zu einfache Diagnosekriterien bergen die Gefahr einer limitierten differentialdiagnostischen Abklärung. Ohne die Liquordiagnostik können MS-ähnliche Krankheitsbilder nicht sicher von einer MS differenziert werden, so dass Fehldiagnosen und Fehltherapien die Folge sein können. Daher sollte die Liquor-Untersuchung bei der Abklärung einer MS eingeschlossen werden, auch wenn die neuen Diagnose-Kriterien eine Liquor-Analytik nicht für obligat erachten.

Literatur: Polman CH, Reingold SC, Banwell B, et al. Diagnostic criteria for multiple sclerosis: 2010 revisions to the "McDonald Criteria". Ann Neurol 2011;69:292-302 Tumani H, Deisenhammer F, Giovannoni G, Gold R, Hartung HP, Hemmer B, Hohlfeld R, Otto M, Stangel M, Wildemann B, Zettl UK. Revised McDonald criteria: the persisting importance of cerebrospinal fluid analysis. Ann Neurol 2011;70:520