Klinische Neurophysiologie 2012; 43 - V001
DOI: 10.1055/s-0032-1301423

Von Mäusen und Menschen–Was lernen wir von tierexperimentellen Studien?

M Holtkamp 1
  • 1Klinik für Neurologie, Charité - Universitätsmedizin Berlin, Berlin

Ein vertieftes Verständnis der pathophysiologischen Mechanismen, die der Entstehung und Aufrechterhaltung des Status epilepticus (SE) und dessen Folgeschäden zugrunde liegen, ist für die Entwicklung neuer Therapieansätze von entscheidender Bedeutung. Aufgrund ethischer und methodischer Limitationen der Forschung am Patienten ist der Einsatz von klinik-nahen Tiermodellen unausweichlich. Die spontane Beendigung von epileptischen Anfällen ist ein energieabhängiger inhibitorischer Prozess, der letztendlich die Wiederherstellung der zuvor eingeschränkten Na+-K+-Pumpfunktion zum Ziel hat. Ein Mangel an Energieversorgung durch mitochondriale ATP Synthese kann zu anhaltender Anfallsaktivität und zur Entwicklung eines SE führen. Die kontinuierliche epileptische Aktivität selbst induziert eine Kaskade pathologischer Änderungen im Gehirn, die zur Aufrechterhaltung des SE beitragen. Eine Abnahme der inhibitorischen GABAA Rezeptoren und eine Zunahme der exzitatorischen NMDA Rezeptoren an der postsynaptischen Membran fördern das Anhalten der epileptischen Aktivität. Darüber hinaus haben diese Adaptationsvorgänge Einfluss auf die Pharmakologie des SE, einerseits hinsichtlich der progredienten Pharmakoresistenz gegenüber GABAerg wirkenden Antikonvulsiva und andererseits hinsichtlich eines mit der Dauer des SE zunehmenden Wirkeffekts von NMDA Rezeptor Antagonisten. Langzeit-Schäden wie die Entwicklung einer chronischen Epilepsie sind in Tiermodellen gezeigt worden, aber bei Menschen ist ein SE ebenfalls epileptogen. Modifikationen neuronaler Netzwerke wie die aberrante Moosfasersprossung und ein Verlust GABAerger Interneurone tragen wahrscheinlich zur Epileptogenese bei, andere Mechanismen beinhalten langfristige Änderungen der Genexpression und die Ruptur der Blut-Hirn-Schranke. Die eindeutige Identifikation von molekularen Zielstrukturen ist die Grundvoraussetzung für die Entwicklung effizienter antiepileptogener Therapiestrategien nach SE oder anderen schweren Hirnschädigungen.