Senologie - Zeitschrift für Mammadiagnostik und -therapie 2011; 7(04): 175-178
DOI: 10.1055/s-0031-1300976
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Mammakarzinom bei älteren Patientinnen – Altersgerechte adjuvante systemische Therapie

Anne C. Regierer
,
Jan Eucker
,
Kurt Possinger
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Publication Date:
03 January 2012 (online)

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Aufgrund mangelnder Evidenz existiert für > 65-jährige Brustkrebspatientinnen keine Standardtherapie, und die Therapieempfehlungen basieren v. a. auf der Datenlage jüngerer postmenopausaler Patientinnen. Es besteht für alle Therapiemodalitäten eine Fehlversorgung, die einen negativen Effekt auf das rezidivfreie Überleben und das Gesamtüberleben hat. Alter an sich sollte kein Faktor sein, der die Therapiewahl bestimmt, sondern der erwartete individuelle Nutzen einer Therapie sollte mit ihren Risiken unter Berücksichtigung der Komorbiditäten und der weiteren Lebenserwartung abgewogen werden. Bei nach geriatrischem Assessment als "fit" eingestuften älteren Patientinnen sollte eine Therapie gemäß den aktuellen Leitlinien gewählt werden. Eine adjuvante Chemotherapie sollte insbesondere bei Hormonrezeptor-negativen Karzinomen häufiger eingesetzt werden. Eine endokrine Therapie sollte allen Hormonrezeptor-positiven Patientinnen angeboten werden.

Das Mammakarzinom ist bei Frauen die häufigste Tumorerkrankung. Die jährliche Erkrankungsrate in Deutschland liegt nach Angaben des Robert-Koch-Instituts derzeit bei etwa 58 000 Fällen, die Sterberate bei etwa 17 500 Fällen (RKI, Krebs in Deutschland 2005/6, ISBN 978-3-89606-207-9, Erscheinungsdatum 23.02.2010). Die 5-Jahres-Überlebensrate über alle Stadien beträgt inzwischen über 80 %. Das mittlere Erkrankungsalter liegt derzeit in Deutschland bei 64 Jahren und ca. ein Drittel der Neuerkrankten sind älter als 70 Jahre. Welch erheblicher Risikofaktor das Alter darstellt, lässt sich daraus ersehen, dass nur eine von über 2500 Frauen im Alter von 30 Jahren an Brustkrebs erkrankt, mit 50 Jahren schon eine von 50 und mit 80 Jahren eine von 10 Frauen.

Die Karzinome im höheren Lebensalter scheinen weniger aggressiv zu sein als bei jüngeren Frauen. So konnte an retrospektiven Datenanalysen verschiedener großer Kollektive gezeigt werden, dass mit zunehmendem Alter der Anteil der Hormonrezeptor(HR)-positiven Fälle steigt, das Grading niedriger ist und negative prognostische Marker wie Ki67 oder Her2/neu-Überexpression (HER2+) weniger häufig sind [ 1 ]–[ 4 ]. Allerdings werden bei den älteren Patientinnen die Tumoren später diagnostiziert, wodurch sowohl das höhere T- als auch höhere N-Stadium zu erklären sind [ 1 ]. Außerdem werden die Mammakarzinome nicht nur später, sondern auch unvollständiger diagnostiziert [ 5 ], [ 6 ].

Die Lebenserwartung älterer Patienten wird häufig unterschätzt, so beträgt sie für eine 65-Jährige noch weitere 20 Jahre und für eine 80-Jährige immer noch 9 Jahre (Statistisches Bundesamt Deutschland). Bei der Betrachtung der Todesursachen muss berücksichtigt werden, dass die nicht Brustkrebs spezifischen Ursachen mit dem Alter stark zunehmen, während die Brustkrebs spezifische Mortalität relativ zurückgeht [6]. Insbesondere bei den über 75-jährigen Patientinnen steigen kardiale und zerebrovaskuläre Krankheiten sowie andere Krebserkrankungen sprunghaft an, die dann bzgl. der restlichen Lebenserwartung prognostisch relevanter als Brustkrebs werden können [ 6 ].