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DOI: 10.1055/s-0031-1298987
Die präklinische Notfallversorgung von schwerverletzten, polytraumatisierten Patienten auf der Basis der S3-Polytrauma-Leitlinie (Auszüge aus der S3-AWMF-Leitlinie)
Prehospital Therapy in Patients with Major Trauma Based on German Guidelines (AWMF)Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
13. April 2012 (online)
Nach wie vor ist der Unfall die häufigste Todesursache des unter 40-jährigen Patienten. Jährlich erleiden ca. 35 000 Patienten ein schweres Trauma, dessen Versorgung bereits an der Unfallstelle beginnen sollte. Im Jahre 2007 erlitten nach der Statistik der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin 8,22 Millionen Menschen eine Unfallverletzung. 18 725 Menschen hatten einen tödlichen Unfall [1]. Gerade der Schwerverletzte stellt den Notarzt vor Ort vor eine große Herausforderung mit der Frage, an welchen Vorgehensempfehlungen er sich orientieren soll. So gab es in der Vergangenheit bereits mehrfache Vorgaben – z. B. der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) [2] für die Diagnostik und Therapie des Polytraumas.
Unter einem Polytrauma ist eine Schädigung zu verstehen, bei der gleichzeitig mehrere Körperregionen oder Organe verletzt sind und eine dieser Verletzungen oder deren Kombination eine Lebensbedrohung darstellen [2]. Schon am Unfallort im Rahmen des Rettungsdienstes werden die Weichen für die nachfolgende klinische Therapie gestellt.
Im vergangenen Jahr wurde eine interdisziplinäre S3-Leitlinie auf höchsten Evidenzniveau publiziert, die auf einem Konsens von 10 wissenschaftlichen Fachgesellschaften beruht. Im Internet ist sie auf der Homepage der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlich-Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) veröffentlicht [3]. Sie stellt das Ergebnis einer systematischen Literaturrecherche und einer klinischen Evidenzbewertung der verfügbaren Daten mit wissenschaftlichen Methoden dar. Die Empfehlungen beruhen auf 3 Graden (Grade of Recommendation − GoR). Die Formulierung der Kernaussagen lauten daher „soll“ (GoR A), „sollte“ (GoR B) oder „kann“ (GoR O).
Die Leitlinie Polytrauma-/Schwerverletztenbehandlung gliedert sich in 3 Themenbereiche (Präklinik, Schockraum, OP-Phase), wobei für den Notarzt die Phase der präklinischen Versorgung den entscheidenden Teil darstellt, auf dem im Folgenden Bezug genommen wird. Im Gegensatz zum klinischen Bereich ist die Datenlage für den präklinischen Bereich und damit die Evidenzlage niedrig. Die Aussagen beruhen vielmehr auf Erfahrung und Expertenwissen. Für eine Reihe von Maßnahmen ist darüber hinaus die Nutzen- und Risikoabwägung umstritten – nicht zuletzt auch unter dem Aspekt des Zeitdrucks, wann eine grundsätzlich indizierte Intervention durchgeführt werden soll. Letztendlich spielt auch die Polarisierung zwischen „stay and treat“ und „load and go“ mit hinein [3].
Dem präklinischen Teil der Leitlinie liegen mehrere Überlegungen zugrunde. Grundsätzlich handelt es sich bei der Versorgung eines schwerverletzten Patienten um einen Ablauf von Handlungen, der bestimmten Prioritäten folgt. Die Inhalte der Leitlinien wurden nicht auf ein bestimmtes Ablaufschema ausgerichtet, sondern auf einzelne Aspekte fokussiert. Diese Bereiche konzentrieren sich zum einen auf anatomische Regionen (Schädel, Thorax, Abdomen, Wirbelsäule, Extremitäten, Becken), zum anderen stehen im präklinischen Bereich nur wenige invasive Interventionsmöglichkeiten zur Verfügung, von denen die wichtigsten (Volumentherapie, Atemwegsmanagement, Thoraxdrainage) im Bezug auf Indikation und Durchführung abgehandelt werden [3].
Zur Vermittlung dieser Inhalte eignet sich im Gegensatz zu dem Konzept des Prehospital Trauma Life Support® (PHTLS), das auf deutsche Verhältnisse adaptierte TraumaManagement®. PHTLS und das International Trauma Life Support® (ITLS) gründen auf US-amerikanische Wurzeln und werden von international lizenzierten nationalen Organisationen zur Ausbildung angeboten. PHTLS stellt die präklinische Variante des durch das American College of Surgeons (ACS) entwickelte ATLS-Konzept für die klinische Traumaversorgung dar. ITLS entstand in Zusammenarbeit mit dem American College of Emergency Physicians (ACEP). Inhaltlich sind beide Konzepte ähnlich und richten sich in der Versorgung an dem notarztfreien amerikanischen Paramedic-System aus [4]. Im Gegensatz dazu ist das Ziel des Konzeptes „TraumaManagement®“ die Polytraumaversorgung unter der Leitung und Zuständigkeit des Notarztes auf der Basis des deutschen Rettungssystems in Abhängigkeit von den Fähigkeiten der Beteiligten. Damit entspricht dieses den Vorgaben und den Anforderungen der DIVI an einen Kurs zur präklinischen Traumaversorgung [5].
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Literatur
- 1 Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. Unfallstatistik: Unfalltote und Unfallverletzte 2007 in Deutschland. www.baua.de
- 2 Stürmer K et al. Polytrauma-Leitlinie für die Diagnostik und Therapie. Unfallchir 2001; 104: 902-912
- 3 S3-Leitlinie Polytrauma/Schwerverletzten-Behandlung. www.awmf.org/leitlinien/detail/II/012-019.html
- 4 Hoedtke J, Knacke PG, Marung A et al. Polytraumaversorgung – Quo vadis? – Von goldenen Stunden, platinen Minuten. Notarzt 2010; 26: 209-215
- 5 Anforderungen an den Kurs zur präklinischen Traumaversorgung (gem. DIVI). www.divi-org.de/fileadmin/pdfs/notfallmedizin/Kurs_zur_pr%C3%A4klinischen_Traumaversorgung.pdf
- 6 Deakin CD, Nolan JP, Soar J et al. Erweiterte Reanimationsmaßnahmen für Erwachsene (“advanced life support”) Sektion 4 der Leitlinien zur Reanimation 2010 des European Resuscitation Council guidelines for resuscitation. Notfall Rettungsmed 2010; 13: 559-620
- 7 Dunkam CM, Barraco RD, Clark DE et al. Guidelines for emergency tracheal intubation immediatly after traumatic injury. J Trauma 2003; 55: 162-179
- 8 Timmermann A, Eich C, Russo SG et al. Prehospital airway management: a prospective evaluation of anaesthesia trained emergency physicians. Resuscitation 2006; 70: 179-185
- 9 Morris C, Perris A, Klein J et al. Anaesthesia in hemodynamically compromised emergency patients: does ketamine represent the best choice of inducation agent?. Anaesth 2009; 64: 532-529
- 10 Paal P, Herfft H, Mitterlechner T et al. Anaesthesia in prehospital emergencies and in the emergency room. Resuscitation 2010; 81: 148-154
- 11 Dutton RP, Mackenzie CF, Scalea TM. Hypotensive resuscitation during active hemorrhage: impact on in-hospital mortality. J Trauma 2002; 52: 1141-1146
- 12 Bunn F, Trivedi D, Ashraf S. Colloid solutions for fluid resuscitation. Cochrane Database Syst Rev 2008; CD 001319
- 13 Rhee P, Burris D, Kaufmann C et al. Lactated Ringer's solution resuscitation causes neutrophil activation after hemorrhagic shock. J Trauma 1998; 44: 433-439
- 14 Angle N, Hoyt DB, Coimbra R et al. Hypertonic saline resuscitation diminishes hug injury by suppressing neutrophil activation after hemorrhagic shock. Shock 1998; 9: 164-170
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