Dialyse aktuell 2011; 15(9): 479
DOI: 10.1055/s-0031-1296044
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Neue Struktur im Gesundheitswesen?

Christian Schäfer
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Publication Date:
07 November 2011 (online)

Pflegekräfte als Leistungserbringer – das könnte bald die Realität in Deutschland werden. Zumindest ist die praktische Evaluierung eines solchen Szenarios das Resultat eines einstimmigen Beschlusses des G-BA (Gemeinsamer Bundesausschuss), dem das Gesundheitsministerium noch zustimmen muss (Stand 27.10.2011). Der G-BA ist das oberste deutsche Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung der Ärzte, Krankenhäuser, Krankenkassen, Psychotherapeuten und Zahnärzte. Mit der Erarbeitung der Heilkunderichtlinie erfüllt der G-BA einen Auftrag des Gesetzgebers, den er 2008 erhalten hat.

Was sind die Konsequenzen dieser Richtlinie? In Modellversuchen der Krankenkassen soll vorerst für die Indikationen Bluthochdruck, chronische Wunden, Demenz sowie Diabetes mellitus Typ 1 und 2 Folgendes erprobt werden: Der Arzt ist für die Diagnose verantwortlich und gibt eine Behandlungsrichtung vor. Darauf therapiert dann aber eine speziell qualifizierte Pflegekraft den Patienten und ist dafür fachlich, wirtschaftlich und rechtlich verantwortlich. Andreas Westerfellhaus, Präsident des DPR (Deutscher Pflegerat), stellte klar, dass die Pflegekräfte, die an den Modellversuchen teilhaben, eine spezielle Ausbildung erhalten.

Diese Entwicklung könnte ein Meilenstein auf dem Weg der dringend notwendigen Reformen im Gesundheitswesen sein – denn dies muss im Zeichen der demografischen Entwicklung und des sich verschärfenden Personalmangels im Gesundheitssektor zukunftsfähig gemacht werden. Fast schon naturgemäß sehen nicht alle das Positive in der Entwicklung der Dinge: Dr. Frank Ulrich Montgomery, Präsident der BÄK (Bundesärztekammer), sagte, der Beschluss sei für die Patienten gefährlich. Er hatte im Vorfeld der Verhandlungen den Gesetzgeber aufgefordert, den Auftrag zurückzunehmen. Dr. Theodor Windhorst, Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe, vermutet hinter den Modellversuchen vornehmlich finanzielle Interessen, nämlich den Aufbau einer für die Kassen preisgünstigeren Parallelversorgung. Er meinte, ein Arzt müsse später immer kontrollieren, ”ob die Diagnose noch stimmt.“ Kritische Anmerkungen sind in dieser recht frühen Phase der Neuorientierung sicher wertvoll. Am sinnvollsten wäre es aber, damit die oben beschriebene Marschrichtung zu optimieren, statt zu versuchen, diese komplett zu verhindern.

Dr. Carl-Heinz Müller, KBV-Vorstand (KBV: Kassenärztliche Bundesvereinigung), steht als Vertreter der Hausärzte hinter der Richtlinie: Er ist dafür, Pflegekräfte als Leistungserbringer zu etablieren. Dies sollte die Hausärzte möglichst stark entlasten und auch die Teamarbeit und Kommunikation im Gesundheitswesen verbessern. Wenn Sie sich für Letzteres interessieren, empfehle ich Ihnen, den Beitrag von Michael Baur auf Seite 490 dieser Ausgabe der Dialyse aktuell zu lesen. Dies ist der fünfte und letzte Teil unserer Kommunikationsserie.

MFA (Medizinische Fachangestellte) und andere medizinische Fachberufe sind in der Heilkunderichtlinie übrigens nicht berücksichtigt. Da gäbe es sicher noch Potenzial für Verbesserungen für künftige Beschlüsse. Aber auch hier verändert sich etwas: Für MFA hat die Landesärztekammer Hessen immerhin ein qualifizierendes Curriculum erstellt.

Der Weg zum Beschluss der Heilkunderichtlinie war recht zäh und von vielen Diskussionen mit extrem gegensätzlichen Positionen geprägt. Nun scheint sich aber tatsächlich etwas zu bewegen – man darf gespannt sein!

Christian Schäfer,

Stuttgart