Geburtshilfe Frauenheilkd 2011; 71 - B19
DOI: 10.1055/s-0031-1295387

Testosteron und Psyche – aus gynäkologischer Sicht mit Blick auf die Andrologie

G Göretzlehner 1
  • 1Rostock

Genderunterschiede: Mathematische Problemlösung, Wortschatz, Leseverständnis, Sprachentwicklung, räumliche Vorstellungskraft, Verständnis von Gesichtsausdrücken, Empfindungsstärke von Emotionen, Gefühle für Mitmenschen (Empathie), Aggression, schulische Leistungen, sportliche Leistungen, Muskelmasse, Lebenserwartung, Gehirngröße und Körperlänge. Hinzu kommen folgende Effekte: a) Leber (Proteinsynthesehemmung, bes. SHBG); b) Niere (Erythropetin-Stimulation- Erythropoese); c) Fettverteilung (android); d) Fettstoffwechsel (Abfall von HDL; Anstieg von LDL); e) Muskulatur (Zunahme der Muskelmasse); f) Haut (Fibroblastenstimulation; Umwandlung von Lanugohaaren in Terminalhaare; Seborrhoe, Akne, Hirsutismus); g) Skelett (Stimulation der Knochenmarkstammzellen und Osteoblasten); h) Mamma (Atrophie); i) Uterus-Endometrium (Atrophie); j) Psyche (Libidosteigerung, Beeinflussung des Neurotransmitterstoffwechsel).

Androgene sind unter anderem für die unterschiedliche mentale und psychische Konstellation bei Frau und Mann verantwortlich. Sie beeinflussen: Stimmung, Wohlbefinden, Energie, Sexualität, Antriebszunahme, Abnahme der Ermüdbarkeit, Depressions- und Kopfschmerzverminderung, Beeinflussung der Gehirnfunktionen (Hypothalamus, Hippokampus, Hirnstamm, Großhirnrinde). Sexualsteroide beeinflussen die Gehirnfunktion: a) global: Veränderung der Hirndurchblutung und Glukoseaufnahme; b) spezifisch: Beeinflussung der Aktivität von Neuronen mit Neurotransmittern; c) spezifisch: Bindung an Rezeptoren AR, ER, PR, Membran-Rezeptoren. Östrogene führen zur Neubildung von Synapsen, zur neuronalen Proliferation, verlängern die Überlebenszeit von Gliazellen, Verbessern die Plastizität durch Stimulation von Dentriten und Synapsen (auch im ausdifferenzierten Nervengewebe). Androgene werden durch Aromatisierung zu Östrogenen und wirken per se sowie vergleichbar den Östrogenen auf neuronale Umbauvorgänge und Aktivitäten. Alles ist relativ: auf das Verhältnis der Hormone kommt es an. Als androgene Referenzpotenz kann angenommen werden: a) Testosteron 100, b) Dihydrotestosteron 300, c) Androstendion 10, d) Dehydroepiandrosteron 5 und e) Dehydroepiandrosteronsulfat 5. Testosteron wirkt nie allein, sondern stets gemeinsam mit seinen natürlichen Metaboliten Estradiol und 5 α-Dihydrotestosteron. Das bioverfügbare Testosteron ist nicht an SHBG gebunden. Testosteron wird pulsatil sezerniert, ohne dass Unterschiede für die Pulsatilität in den einzelnen Zyklusphasen bestehen. Die bekannte Tagesrhythmik zeigt, dass abends ein Tief und am Morgen ein Hoch vorliegt. Testosteron wird im Ovar, der Nebennierenrinde (NNR) und in der Peripherie prä- und postmenopausal unterscheidlich produziert. Der Testosteronspiegel reduziert sich vom 20.–40. Lebensjahr um 50%. Kein Testosteron-Spiegel reflektiert klar ein klinisches Syndrom einer Hypo-Androgenämie oder einer Androgen-Insuffizienz. Die Testosteron-Werte variieren von Labor zu Labor. Mit Flüssigkeits-Chromatografie und Massenspektrometrie werden niedrigere Werte für T, DHT, E2 und E1 bestimmt.

In letzter Zeit wird die weibliche Androgen-Insuffizienz als Krankheitsbild diskutiert, wobei es sich um junge Frauen mit ovarieller, adrenaler oder zentraler Dysfunktion handelt. Die Androgen-Insuffizienz ist nicht automatisch Folge der natürlichen Menopause. Zu den entscheidenen Kriterien zählen: 1. Klinische Symptome: Vermindertes Wohlbefinden, Ermüdung, Sexualfunktionsstörungen, Abnahme der Libido, vasomotorische Instabilität, Abnahme der Lubrikation bei ausreichend östrogenisierten Frauen. Muskel- und Knochenschwund, Nachlassen der kognitiven Leistung- und des Erinnerungsvermögens. Die meisten Symptome sind unspezifische Symptome; 2. östrogenisierte Frauen: prämenopausale Frauen mit Zyklus, Pillenanwenderinnen oder postmenopausale Frauen unter HAT. Ätiologisch kommen in Frage: Hypopituitarismus (Anorexia nervosa), primäre und sekundäre NNR-Insuffizienz, Adrenalektomie, Ovarialinsuffizienz (vor der Menopause, vorzeitige Menopause, Turner Syndrom, Röntgenmenolyse, Chemotherapie, Oophorektomie bei prämenopausalen Frauen), Pharmaka (Kortikosteroide, Antiandrogene, OC, orale HAT), idiopathisch Prozesse. Die aktuelle Therapie besteht in der Applikation von Testosteron und DHEA, wobei eine Nutzen-Risiko-Analyse (Sicherheit und Wirksamkeit) erfolgen sollte. Androgene sind immer in Kombination mit Östrogenen (außer CEE) zu geben, um die Risiken niedrig zu halten. Bei Nebenwirkungen Dosis reduzieren bzw. T bzw. DHEA absetzen. Transdermale Pflaster sind Gels oder Cremes bzw. der oralen Therapie vorzuziehen, um den first-pass Lebereffekt (SHBG, Lipide-Anstieg) zu vermeiden. Intramuskulär applizierbare Präparate (Gynodian-Depot) induzieren eine „Langzeittherapie“. Es empfiehlt sich immer die niedrigste Testosteron-Dosis für die kürzeste Therapiezeit. Vor Therapiebeginn sollten die Basiswerte für Lipide und Leber-Enzyme bestimmt werden. Die Testosteron-Therapie sollte nach Möglichkeit transdermal erfolgen. Dazu eignet sich das Pflaster mit Matrix: 150µg oder 300µg (INTRINSA); 2 x wöchentlich 1 Pflaster (entsprechen etwa 50% oder 100% der T-Produktionsrate prämenopausaler Frauen. Physiologischere Spiegel für T + DHT als nach Gel-Anwendung, vernachlässigbare E2 Veränderungen bei Frauen; keine Alteration von SHBG; Therapiedauer 3–6 Monate in Kombination mit E2.

Testosteron beeinflusst die Depression: Untersucht wurden 9 Frauen (25–59 Jahre) mit schweren, therapieresiswtenten Depressionsepisoden. Die Therapie erfolgte Intrinsa (300µg Testosteron) 2 x wöchentlich für 8 Wochen. Zum Einsatz kam der MADRS (Montgomery-Asberg Depression Rating Scale, MADRS). Es zeigte sich anfänglich ein MADRS 25,9±4,6 (Ausgang), der signifikante nach 2 Wochen abnahm (14,7±8,4, P=0,002), was bis zur 8. Woche (15,2±10,9) nachweisbar war. Die Ermüdbarkeit (Fatigue) nahm ebenfalls signifikant ab. In einer randomisierte Studie mit 200 postmenopausalen Frauen wurden diese für 4 Wochen mit 40mg Testosteronundecanat (T) oder 2mg Estradiol (E2) oder Placebo (P) behandelt. T oder E2 üben bei Kurzzeitbehandlung über vier Wochen keinen Einfluss auf den Wortfluss, die Worterinnerung oder die Fähigkeit des räumlichen Denkens bei gesunden postmenopausalen Frauen aus.

Androgene führen früher oder später zur Androgenisierung (Defeminisierung), wobei es keine Schwellendosis gibt – bereits die erste Applikation erzeugt Stigmata der Androgenisierung – Stimmveränderungen! Hierzu zählen: a) Heiserkeit; b) schwerfällige, raue, brüchige Stimme; c) herabgesetzte Stimmkraft, rasche stimmliche Ermüdbarkeit; d) Absinken der Stimmgrenze (obere und untere Grenze); e) Absinken des Stimmumfanges (obere und untere Grenze); f) Absinken der Sprechstimmlage; g) Missempfindungen im Kehlkopfbereich bei Phonation; h) männliches Timbre; i) Schwierigkeiten beim Tontreffen und Tonhalten. Unter Defeminisierung versteht man: Sterilität, dysfunktionelle Blutungen, Amenorrhoe, Atrophie Mammae u. Uterus, Abnahme der weiblichen Fettverteilung, Maskulinisierung, Akne, Seborrhoe, Hirsutismus, Alopezie, Absinken der Singstimme, Virilisierung, progredienter Hirsutismus, Klitoris- und Muskelhypertrophie, männliche Klangfarbe Sprech- und Singstimme, Glatzenbildung, männliche Gesichtszüge, männlicher Habitus

Literaturempfehlung

  • Bachmann G, Bancroft J, Braunstein G, Burger H, Davis S, Dennerstein L, Goldstein I, Guay A, Leiblum S, Lobo R, Notelovitz M, Rosen R, Sarrel P, Sherwin B, Simon J, Simpson E, Shifren J, Spark R, Traish A; Pinceton: Female androgen insufficiency: the Princeton consensus statement on definition, classification, and assessment. Fertil Steril 2002; 77: 660–665.

  • Burger HG, Dudley EC, Robertson DM, Dennerstein L: Hormonal changes in the menopause transition. Recent Prog Horm Res 2002; 57: 257–275.

  • Fonda SJ, Bertrand R, O'Donnell A, Longcope C, McKinlay JB: Age, hormones, and cognitive functioning among middle-aged and elderly men: cross-sectional evidence from the Massachusetts Male Aging Study. J Gerontol A Biol Sci Med Sci 2005; 60: 385–390.

  • Glaser R, York AE, Dimitrakakis C: Beneficial effects of testosterone therapy in women measured by the validated Menopause Rating Scale (MRS). Maturitas 2011; 68: 355–361.

  • Hall JE: Neuroendocrine changes with reproductive aging in women. Semin Reprod Med 2007; 25: 344–351.

  • Kocoska-Maras L, Zethraeus N, Rådestad AF, Ellingsen T, von Schoultz B, Johannesson M, Hirschberg AL: A randomized trial of the effect of testosterone and estrogen on verbal fluency, verbal memory, and spatial ability in healthy postmenopausal women. Fertil Steril 2011; 95:152–157.

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