Geburtshilfe Frauenheilkd 2011; 71 - B12
DOI: 10.1055/s-0031-1295380

Schwangerschaftsassoziierte Osteoporose (SAOP) und transiente Osteoporose (TOP) der Hüfte in der Schwangerschaft

L Cabrera 1, J Schreier 1
  • 1Berlin-Köpenick

Per definitionem handelt es sich bei der Osteoporose um eine „...systemische Skeletterkrankung mit erniedrigter Knochenmasse und Verschlechterung der Mikroarchitektur des Knochens mit konsekutiv erhöhter Knochenbrüchigkeit und gesteigertem Frakturrisiko...“ Als Sonderform tritt die schwangerschaftsassoziierte Osteoporose (SAOP) mit einer Inzidenz von 0,4 auf 100 000 Frauen/Jahr sowie einer hohen Dunkelziffer auf. Insgesamt wurden bisher ca. 100 Fälle publiziert. Die SAOP manifestiert sich meist im letzten Trimenon oder der frühen Postpartalphase. Häufig sind Primigravida im 25.-30. Lebensjahr betroffen, die unter Rückenbeschwerden mit Bewegungseinschränkung und – seltener – Hüft- und Sprunggelenksbeschwerden leiden. Bei den meist vertebralen Frakturen stehen auch die Abnahme der Körpergröße, das „Tannenbaumphänomen“, die Brustkyphose sowie eine Lendenlordose im Mittelpunkt. Pathogenetisch wird eine Veränderung des Knochenmetabolismus in Schwangerschaft (SS) und Stillzeit durch einen erhöhten Kalziumbedarf diskutiert. Bekanntermaßen kommt es zu einem Transfer von 30g Kalzium von Mutter zu Kind in derSS, wovon 80% im 3. Trimester übergehen; Weiterhin werden ca. 40g in der Stillzeit von der Mutter zum Kind transferiert. Die Kalzium-Quellen sind das mütterliches Skelett bei gleichzeitig gesteigerter intestinaler Resorption. Liegen zusätzliche Faktoren vor, so erhöht sich das Risiko für eine SAOP. Dazu zählen u.a.: a) primärer und sekundärer Hyperparathyreoidismus, Hyperthyreose, Störungen des Vit. D-Stoffwechsels, chronisch-entzündliche Darmerkrankungen, Osteomalazie; b) Glukokortikoide, Heparin, Phenytoin; c) Immobilisation und d) eine genetische Disposition. Zur Diagnostik einer SAOP werden die Magnetresonanztomografie (Frakturen, Keilwirbel, Sinterungsfrakturen), die quantitative Ultrasonometrie (Messung der Ultraschall-Leitungsgeschwindigkeit im Os Calcaneus sowie die quantitative Computertomografie (Osteoporose bei WHO T-Score < -2,5) empfohlen. Therapeutisch stehen im Mittelpunkt: a) die körperliche Schonung (Gehstützen, Orthesen, Analgesie); b) die orale Gabe von 1–2g Kalzium + 800 IE Vit D pro Tag; c) bei manifester Osteoporose (Frakturen) a) die Applikation von Medikamenten (des Osteoanabolikums Teriparatid (Parathormonfragment, rhPTH 1–34), von Bisphosphonaten; b) die Vertebroplastik, Kyphoplastik; c) bei fortgeschrittenem Gestationsalter ggf. Schwangerschaftsterminierung oder d) Empfehlung des primären Abstillens

Die transiente Osteoporose (TOP) der Hüfte entspricht einem transienten Knochenmarködem in der Schwangerschaft. Die TOP tritt wie die SAOP üblicherweise im 3. Trimenon bei Erstgebärenden auf. Typisch sind akut einsetzende belastungsabhängige Schmerzen im Bereich der Hüfte, schmerzbedingtes Hinken, eingeschränkte Hüftbeweglichkeit, aber auch Ruheschmerz. Die Ätiologie ist derzeit ungeklärt. Störung der arteriellen Zufuhr oder des venösen Abflusses sollen eine Rolle spielen, ebenso wie die Verlegung oder Kompression intraossärer Kapillaren. Hormonelle Einflüsse, Nervenkompression und eine erhöhte Belastung werden diskutiert. Diagnostisch ist das MRT die Methode der Wahl, das das Knochenmarködem im Schenkelhals (T1-Gewichtung: Signalminderung, T2/STIR: Signalerhöhung) zeigt. Der Verlauf ist selbstlimitierend. Eine Restitutio ad integrum wird in der regel Nach 6–8 Monaten beobachtet. Zur Therapie ghören: a) Entlastung der betreffenden Gelenke (Frakturgefährdung!); b) Analgesie; c) Physiotherapie; d) Zufuhr von Kalzium und Vitamin D; e) vereinzelte werden Calcitonin und Bisphosphate empfohlen; f) bei postpartal weiterhin bestehenden starken Schmerzen ist optional Anbohrung des Schenkelhalses zu diskuitieren. Es folgt die Vorstellung einer 31-jährigen (I. Gravida/0-Para) in 26. SSW mit SAOP, die bis dahin über einen unauffälligen SS-Verlauf berichtete. Seit 5 Wochen kam es dann zu progredienten Schmerzen in Hüftgelenken beidseits sowie im Kreuzbein, die belastungsabhängig waren und mit progredienten schmerzbedingten Bewegungseinschränkung einhergingen. In der Eigenanamnese war eine Colitis ulcerosa (therapiert bei Bedarf mit Salofalk supp.) bekannt. Auch Mutter und Großmutter waren postpartum mehrere Monate immobil. Die neurologische Untersuchung ergab die schmerzhafte Hüftgelenksadduktion und – innenrotation sowie schmerzbedingte Kraftminderung in den Beinen. Sensible Ausfälle, Blasen- oder Mastdarmstörung wurden nicht beobachtet. Die Muskeleigenreflexe waren normal, eine Abnahme der Körpergröße in der SS lag nicht vor. Die internistische Untersuchung ergab den Ausschluss einer Hyperthyreose sowie eines Hyperparathyreoidismus (TSH, fT3, fT4, PTH in Norm; Sonografie der Schilddrüse: Epithelkörperchen unauffällig). Bei aktiver Colitis ulcerosa erfolgte der Ausschluss einer extraintestinalen Manifestation als Ursache der Beschwerden. Im MRT ergab sich kein Anhalt für Sakroiliitis oder eine Arthritis. Die Therapie mit Salofalk supp. 500mg 3×1/d sollte fortgeführt werden. Die Laborwerte CRP, Leukozyten, Calcium, Phosphat, Alkalische Phosphatase waren im Normbereich, während die BSG erhöht und das Vitamin D3 erniedrigt war. Im MRT zeigte sich deutlich die pathologische Knochenmarködembildung der proximalen Femura beidseits, besonders im Collum ossis femoris, wo auch die Demineralisation der proximalen Femura nachweisbar war. Die Therapie bestand in der Entlastung der betroffenen Gelenke (Rollator), der Analgesie, einer angepassten Physiotherapie sowie der Gabe von Vitamin D 800 IE/d und Calcium 1000mg/d.

Fallvorstellung einer transienten Osteoporose der Hüfte in der Schwangerschaft (TOH):

Die betroffene Patientin berichtete ab der 32. SSW über progrediente Schmerzen von Hüftgelenken bis in Unterschenkel ziehend, über progressive Bewegungseinschränkung zur Schmerzvermeidung sowie über eine zervixwirksame vorzeitige Wehentätigkeit. Sie erhielt eine Tokolyse mit Atosiban i.v., eine Lungenreifeinduktion mit Celestan i.m., Bettruhe sowie eine Thromboseprophylaxe mit Clexane s.c. 20mg/d. In der 37. SSW traten zusätzlich Rücken- und Flankenschmerzen sowie ein Harnstau II° beidseits auf. Die Mobilisation war nur noch auf dem Rollator sitzend möglich. Es erfolgte im Konsens die primäre Sectio caesarea in der 38+2 SSW bei Beckenendlage (BEL) und TOH, wobei ein lebensfrischer Junge (Apgar 9/10/10, pH 7,43, 3570g, 51cm, KU 36cm) geboren wurde. Im postpartal Verlauf erfolgte eine Röntgen-Beckenübersichtsaufnahme, die die Rarefizierung der Knochenstruktur im gesamten Becken belegte, aber keinen Frakturnachweis erbrachte. Die Osteodensitometrie mittels quantitativer CT zeigte einen verminderten T-Score (-2,28) sowie einen positiven Ca-Hydroxylapatit-Wert (96,5mg/dl). Bei kontrollbedürfiger Osteopenie wurde keine erhöhte Frakturgefährdung beschrieben. Im Wochenbett war die Schmerzsymptomatik schnell und deutlich rückläufig. Es ergab sich jedoch eine sekundäre Muskelschwäche, die das typische Trendelenburg-Gangbild zur Folge hatte. Die Patientin stillte, die Vitamingabe wurde ambulant nach 2 Wochen abgesetzt. Im MRT 2 Monate postpartal (p.p.) war kein Knochenmarködem der proximalen Femura mehr nachweisbar. Der weitere Verlauf war folgendermaßen charakterisiert: a) sukzessive Mobilisierung und Gewinnung an Kraft durch Physiotherapie; b) Patientin konnte ihren Sohn wieder selbstständig tragen und versorgen; c) 6 Monate p.p. ist die junge Mutter wieder vollständig beschwerdefrei und hat ihre vorherige Kraft wiedererlangt. Zusammenfassung: Insgesamt ist von einer hohen Dunkelziffer auszugehen sowie von einer vermutlich häufigen Verkennung. Meist erfolgt keine adäquate Diagnosestellung und Behandlung. Es gilt konsequenterweise darn zu denken, speziell wenn persistierende Rückenschmerzen in Schwangerschaft und Postpartalphase als Leitsymptom auftreten. Die starken körperlichen Einschränkungen führen zu psychischen und partnerschaftlichen Konflikten. Die Mutter ist nicht in der Lage ihr Kind ausreichend zu versorgen, was therapeutische und sozialmedizinische Konsequenzen haben muss. Ansprechpartner sind zu finden unter: Deutsches Referenzzentrum für schwangerschaftsassoziierte Osteoporose; Klinikum der Philipps-Universität Marburg (Tel.: 06421–58–64455)

Literaturempfehlung

  • Heim U, Clauss M, Bürki N, Lutz T, Ilchmann T: [Pregnancy-associated osteoporosis. Differenzial diagnosis of „common“ musculoskeletal pain during pregnancy and lactation]. Orthopäde 2010; 39:1051–1056.

  • Lidder S, Lang KJ, Lee HJ, Masterson S, Kankate RK: Bilateral hip fractures associated with transient osteoporosis of pregnancy. J R Army Med Corps 2011; 157:176–178.

  • Michalakis K, Peitsidis P, Ilias I: Pregnancy- and lactation-associated osteoporosis: a narrative mini-review. Endocr Regul 2011; 45: 43–47.

  • Smith R, Philips AJ: Osteoporosis during pregnancy and its management. Scand J Rheumatol 1998; 107: S66-S67.

  • Vujasinovic-Stupar N, Pejnovic N, Markovic L, Zlatanovic M: Pregnancy-associated spinal osteoporosis treated with bisphosphonates: long-term follow-up of maternal and infants outcome. Rheumatol Int 2011 [Epub ahead of print].