Geburtshilfe Frauenheilkd 2011; 71 - B8
DOI: 10.1055/s-0031-1295376

Geschlechtsunterschiede und der Einfluss von Steroidhormonen auf das sich entwickelnde menschliche Gehirn

K Konrad 1
  • 1Aachen

Adoleszenz ist eine Entwicklungsperiode, in der zahlreiche körperliche, psychologische, kognitive und soziale Transformationen stattfinden und Geschlechterunterschiede sich manifestieren. Diese Veränderungen auf der Verhaltensebene sind eng mit reifungsbedingten Veränderungen des Gehirns assoziiert. Während es eine Reihe von vergleichbaren Entwicklungsprozessen zwischen Jungen und Mädchen gibt, unterscheidet sich die Gehirnenwicklung von Jungen und Mädchen insbesondere hinsichtlich des regionalen Volumens der grauen Substanz sowie hinsichtlich des zeitlichen Verlaufs der Maturationsprozesse. Veränderungen während der Pubertät sind im Wesentlichen durch Wachstum, die sekundäre Geschlechtsmerkmale, die Reifung der Sexualorgane, die charakteristische Verteilung von Muskel- und Fettgewebe sowie durch die Reifung der Atmungs- und Herz-Kreislaufsysteme charakterisiert. Folgende Geschlechtsunterschiede zeigen sich im Bezug auf das Geburn: a) 10% größeres Gesamtvolumen bei Jungen, wobei dieser Geschlechtsunterschied schon neonatal vorhanden (kann nicht durch Größenunterschiede erklärt werden); b) früher Einfluss von Sexualsteroidexposition in utero und c) ein männlicher Zwillingsbruder bewirkt eine Vergrößerung des Hirnvolumens beim Zwilling (aber nur vorübergehender Effekt bei Kindern). Die Reifung des Präfrontalkortex spielt eine wichtige Rolle. Während der Hirnentwicklung in der Adoleszenz wird im Frontallappen durch die Myelinisierung das Verhältnis zwischen grauer und weißer Substanz definiert. Die Entwicklung der strukturellen Konnektivität in der Adoleszenz ist durch die Zunahme der fronto-striatalen Konnektivität während der Adoleszenz charakterisiert, was wiederum mit der Verbesserung der Impulskontrolle assoziiert ist.

Welche Veränderungen in der Hirnentwicklung sind abhängig von hormonellen Veränderungen während der Pubertät? Welche Rolle spielen die Gonadenhormone für die Gehirnentwicklung. Organisierende Effekte finden bereits „in utero“ statt: während der sensiblen Phasen in der Pränatalentwicklung werden große Mengen an Androgenen (primär Testosteron) im Körper des Fetus ausgeschüttet, die die cerebrale Entwicklung dauerhaft beeinflussen. Dies geht einher mit einer dauerhaften Reorganisation, die die neuronalen Netze für aktivierende Hormoneffekte sensitiviert. Aktivierende Effekte finden sich besonders während der „Pubertät“: Letztlich handelt es sich wohl um akute Effekte gonodaler Hormone auf das ausgereifte Nervensystem, die mit typischem geschlechtsspezifischem Verhalten assoziiert sind. Es gibt allerdings auch hormonunabhängige Mechanismen, so weisen männliche Ratten eine Überproduktion von striatalen DA-Rezeptoren während der Adoleszenz auf, die im erwachsenen Gehirn wieder eliminiert werden. Dabei finden sich keine Veränderungen der geschlechtsspezifischen Muster, d.h. der Anstieg der gonadalen Hormone während der Pubertät ist nicht für Überproduktion der DA-Rezeptoren verantwortlich.

Welche Geschlechtsunterschiede in der Hirnentwicklung gibt es? Jungen haben im Vergleich zu Mädchen ein größeres Volumen der Amygdala links. Mädchen haben im Vergleich zu Jungen ein größeres Striatum (N. caudatus, globus Pallidus & Putamen sowie einen größeren Hippokampus (bilateral). Diese Befunde sind interessant bezüglich Geschlechtsabhängigkeit von einigen neuropsychiatrischen Erkrankungen, wie z.B. Turett-Syndrom und ADHS (Knabenlastigkeit) oder Depression/Angst (Mädchenlastigkeit nach der Pubertät). Weiter zu untersuchen sind a) die Steroideffekte in der Amygdala, wobei kürzlich gezeigt wurde, dass die Steroidkonzentrationen mit dem Amygdalavolumen, aber nicht mit Volumen der Basalganglien korrelieren; b) die Steroideffekte auf die Funktionalität des Hippokampus sowie c) die Effekte von Pubertät und Steroidhormonen auf die Entwicklung der grauen Substanz. Fazit: Signifikante Assoziationen zwischen gonadalen Steroidhormonen und regionalen Volumenunterschieden in der grauen Sustanz in der Amygdala und im Hippokampus, jedoch nicht im Striatum. Organisierende Effekte von Steroidhormonen nicht nur in der Pränatalzeit. Möglicherweise beeinflussen Pubertätshormone die Ausbildung dauerhafter Geschlechtsunterschiede im Amygdala-Hippokampus-Komplex am Ende der Adoleszens, die dann mit einer weiteren Sensitivierung neuronaler Netzwerke für die aktivierende Wirkung von Steroidhormonen einhergehen.

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