Hintergrund: Das erweiterte Verständnis biologischer Vorgänge in den Neurotransmittersystemen
kann das Symptom des Alkoholismus auf eine Störung dieses Gleichgewichts zurückführen.
Daraus ergibt sich ein völlig neues Verständnis über Erkrankungen, die auf stofflichen
Süchten beruhen. In diesem Zusammenhang eröffnen sich auch neue Behandlungsmöglichkeiten
bei Angst und Depression (Cryan, Kaupmann, 2005).
Insbesondere das bisher als Muskelrelaxans bekannte Baclofen scheint in der Lage zu
sein, als Agonist des GABA-B-Rezeptors dieses Gleichgewicht wieder herzustellen. Die
Anwendung von Baclofen in der Neurologie erfolgt seit mehr als 40 Jahren ganz überwiegend
ohne signifikante unerwünschte Wirkungen. Der Heilungserfolg des französischen Kardiologen
O. Ameisen von Alkoholismus mit Komorbidität Angst und Dysphorie durch Selbstmedikation
mit Baclofen ist beispielhaft (Ameisen, 2005). Ein Paradigmenwechsel in der Behandlung
der Alkoholabhängigkeit zeichnet sich ab. Das Ziel der Behandlung ist nicht mehr ausschließlich
die Abstinenz (Uchtenhagen, 2009), sondern eine Unterdrückung des Craving (Suchtdruck).
Ziel: Implementierung einer optionalen Behandlung der Alkoholkrankheit mit Baclofen in
den medizinischen Alltag – auch unter dem Aspekt der Rückfallprophylaxe. Unter erfolgreicher
Therapie verstehen wir das Erreichen eines cravingfreien Zustandes mit sozial- und
gesundheitsverträglichem Alkoholkonsum oder zufriedener Abstinenz. Die Ergebnisse
mehrerer webbasierter Umfragen des in 2009 von Betroffenen gegründeten Alkohol-und
Baclofen-Forums (Rippel, Kreuzeder, 2010) sowie zahlreiche Beobachtungen in der Praxis
scheinen eine „off-label“-Verschreibung, insbesondere auch unter Berücksichtigung
von Kosten/Nutzen-Effekt und Erfolgen der etablierten Therapieformen zu rechtfertigen.
Methode: Vortrag.
Resultat und Schlussfolgerung: Baclofen ermöglicht bei interindividuell angepasster Dosierung meist eine schnell
erreichbare Trinkpause, bzw. Reduktion des Alkoholkonsums bis zur „völligen Gleichgültigkeit“
gegenüber Alkohol. Die gleichzeitig positive Beeinflussung der häufigen Komorbiditäten
Angst und Depression, erlaubt eine effiziente, individualisierte Psychotherapie mit
Verbesserung der „Selbststeuerungsfähigkeit“.
Literatur: Cryan JF, Kaupmann K (2005): Don’t worry ‘B’happy!: a role for GABAB receptors in
anxiety and depression. Trends in Pharmacological Sciences 26, 36-43 Ameisen O (2005):
Complete and prolonged suppression of symptoms and consequences of alcohol-dependence
using high-dose baclofen: a self-case report of a physician. Alcohol and Alcoholism
40, 2, 147-150 Uchtenhagen A (2009): Abstinenz als gesellschaftlicher und therapeutischer
Leitgedanke. Suchttherapie 10, 75– 80 Rippel H, Kreuzeder F (2010) Efficacy of Baclofen
in the treatment of alcoholism (2010): http://www.paradigmenwechsel-ev.de/Willkommen/Publikationen_files/efficacy%20of%20baclofen.pdf
Müller C, Vollmer K, Hein J, Heinz A.(2010): Baclofen zur Behandlung der Alkoholabhängigkeit.
Sucht 56 (3-4), 167-174