Suchttherapie 2011; 12 - S39_2
DOI: 10.1055/s-0031-1284643

Patienten–Konsumenten – Prosumenten? – Zur Kritik der Suchttherapie als Internettherapie

S Tasseit 1
  • 1Institut für Psychotherapie, Psychosomatik und medizinische Rehabilitation, AMEOS Klinikum Alfeld, Alfeld (Leine)

Fragestellung: In den Dienstleistungsgesellschaften des IT-Zeitalters gibt es für verschiedene Störungsbilder mittlerweile eine große Zahl von Suchttherapie-Angeboten über das Internet. Diese Entwicklung hin zu einem vermehrten Einsatz neuer Medien und damit weg von der persönlichen Begegnung als face-to-face-Interaktion von Suchttherapeut und Patient ist nicht nur in psychologischer Hinsicht fragwürdig. In diesem Beitrag geht es um die sozialen Folgen der Internettherapie.

Methode: Systematische Literaturreview.

Ergebnisse: Zu konstatieren sind bereits heute–insbesondere für die Gesellschaft der Bundesrepublik – im Rahmen der Internettherapie neue, zusätzliche Zugangsbarrieren zur suchttherapeutischen Versorgung. Sie verweisen auf das Phänomen einer sozialen Exklusion vor allem von Frauen, Älteren und Unterschicht-Angehörigen. Daneben scheint ein neuer Rationalisierungsprozesstypus auf. Er wird von dem US-amerikanischen George Ritzer in der Weiterführung der Gedanken Max Webers „McDonaldisierung“ genannt. Diesen Rationalisierungsprozessen unterliegen nicht nur die „Produzenten“, hier: die Suchttherapeuten. Typischerweise werden nunmehr auch die "Konsumenten", hier: die abhängigkeitskranken Patienten und ihre Angehörigen, als sog. „Prosumenten“, d.h. als kostenlose Mitarbeiter über eine spezifische Form „Selbstbedienung“ und „Heimarbeit“ einbezogen: Sie arbeiten nicht nur die webbasierten Selbsthilfematerialien durch, sondern verändern und verbessern sie zugleich, indem sie beispielsweise in Diskussionsforen, Chatrooms, Mailinglisten u.ä. aktiv sind. Angesichts dieser McDonaldisierungs-Tendenzen sowie der kommunikationstechnologisch-bedingten Zentralisierung solcherlei Suchttherapie-Angebote und ihrer organisatorischen Abhängigkeit von mitarbeitenden IT-Spezialisten ist langfristig ein Rückgang der Zahl von Suchttherapeuten zu erwarten sowie eine latent fortschreitende Deprofessionalisierung des Suchttherapeutenberufs.

Literatur: Ritzer, G. (2006): Die McDonaldisierung der Gesellschaft. Konstanz: UVK Ritzer, G. (2008): The McDonaldization of Society 5. Los Angeles etc.: Pine Forge Press. Voß, G.G./Rieder, K. (2005): Der arbeitende Kunde. Wenn Kunden zu unbezahlten Mitarbeitern werden. Frankfurt/New York: Campus. Voß, G.G. (2008): Wenn die Kunden die Arbeit machen. In: Schimank, U./Schöneck, N.M (Hrsg.): Gesellschaft begreifen. Frankfurt/New York: Campus, S. 105-115.