Z Sex Forsch 2011; 24(4): 353-378
DOI: 10.1055/s-0031-1283840
ORIGINALARBEIT

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York

„What do boys do with porn?“

Ergebnisse einer Interviewstudie, Teil 2Gunter Schmidt, Silja Matthiesen
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
15. Dezember 2011 (online)

Übersicht:

Die AutorInnen gehen der Frage nach, in welchen sozialen Zusammenhängen und zu welchem Zweck junge heterosexuelle Männer zwischen 16 und 19 Jahren mit pornografischen Materialien umgehen. Die Ergebnisse basieren auf einer Interviewstudie mit 160 Jugendlichen beiderlei Geschlechts, die Ergebnisse für die jungen Frauen werden an anderer Stelle in diesem Heft mitgeteilt. Jungen konsumieren Pornografie heute in der Regel im Internet. Die Pornowelt ist für sie strikt zweigeteilt. Sie unterscheiden klar zwischen „normalen“ und „erregenden“ Stücken einerseits sowie „perversen“ und „abtörnenden“ andererseits. Erstere nutzen sie weitaus am häufigsten, vor allem allein und häufig im Zusammenhang mit Masturbation. Letztere nutzen sie im homosozialen Kontext zur derben Unterhaltung und manchmal mit machohaftem Gehabe. Zusammen mit der Partnerin werden Pornofilme gelegentlich zur gemeinsamen Stimulation und auf der Suche nach einvernehmlicher Variation ihrer Sexualpraxis angesehen. Insgesamt ist der Umgang junger Männer mit Pornografie wählerisch, er folgt ihren Vorlieben, die in der Regel konventionell und heterozentriert sind. Einen Einfluss hat der Pornografiekonsum auf ihre Bereitschaft, neue Koitusstellungen und oralen Sex real oder in der Fantasie auszuprobieren. Eine kritische Sicht auf das in der herkömmlichen Pornografie produzierte Männer- und Frauenbild ist bei jungen Männern sehr verbreitet, auch bei denjenigen mit hohem Pornografiekonsum. Die Unaufgeregtheit, mit der Jugendliche über ihre Erfahrungen mit Pornografie sprechen, steht den AutorInnen zufolge in einem auffälligen Kontrast zur Dramatik der öffentlichen Debatte. 

Literatur

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1 Nach dem vierstufigen Rating der gesamten Pornografieerfahrung, vgl. Matthiesen et al. (2011: 332, in diesem Heft).

2 Die Aussage des Sexualforschers Jakob Pastötter, Pornografie werde „zur Leitkultur der Unterschicht“ (zitiert nach Wüllenweber 2007), erweist sich angesichts dieser Daten und bezogen auf Jugendliche als blanke (Mittelschichts-)Spekulation.

3 Vgl. [Fußnote 1], S. 354.

4 „Pornography is that depiction manufactured with the intent to produce erotic excitement. Pornography is pornographic when it does excite. Not all pornography, then, is pornographic to all“ (Stoller 2009: 11).

5 Die Korrelation (Spearman-Rangkorrelation) zwischen diesen beiden Merkmalen beträgt in unserer Stichprobe r = 0,66 (p < .001).

6 Offenbar hat sich nur die Art der Masturbationsvorlagen, nicht aber die Masturbationsfrequenz durch die leichte Verfügbarkeit der Pornografie verändert: 19- und 20-jährige Studenten, die wir 1996 befragten (vgl. Schmidt 2000) und die 16- bis 19-jährigen Gymnasiasten dieser Studie hatten gleichermaßen im Durchschnitt etwa 9 Mal in den letzten vier Wochen vor der Befragung masturbiert.

7 Vgl. [Fußnote 1], S. 354.

8 Bei den anderen lag der letzte Pornokonsum zu lange zurück oder sie äußerten sich nicht zum Thema.

9 Vgl. [Fußnote 1], S. 354.

10 Vgl. [Fußnote 1], S. 354.

11 16 Befragte mit sporadischen oder geringen Pornoerfahrungen (Rating 1 und 2, vgl. [Fußnote 1], S. 354) machten zu diesem Komplex keine Angaben, bei sieben Jungen mit mäßigem bzw. hohem Konsum wurde dieser Komplex nicht bearbeitet.

Dr. S. Matthiesen

Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf · Institut für Sexualforschung und Forensische Psychiatrie

Martinistr. 52

20246 Hamburg

eMail: smatthie@uke.uni-hamburg.de

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