Übersicht:
Die AutorInnen gehen der Frage nach, in welchen sozialen Zusammenhängen und zu welchem
Zweck junge heterosexuelle Männer zwischen 16 und 19 Jahren mit pornografischen Materialien
umgehen. Die Ergebnisse basieren auf einer Interviewstudie mit 160 Jugendlichen beiderlei
Geschlechts, die Ergebnisse für die jungen Frauen werden an anderer Stelle in diesem
Heft mitgeteilt. Jungen konsumieren Pornografie heute in der Regel im Internet. Die
Pornowelt ist für sie strikt zweigeteilt. Sie unterscheiden klar zwischen „normalen“
und „erregenden“ Stücken einerseits sowie „perversen“ und „abtörnenden“ andererseits.
Erstere nutzen sie weitaus am häufigsten, vor allem allein und häufig im Zusammenhang
mit Masturbation. Letztere nutzen sie im homosozialen Kontext zur derben Unterhaltung
und manchmal mit machohaftem Gehabe. Zusammen mit der Partnerin werden Pornofilme
gelegentlich zur gemeinsamen Stimulation und auf der Suche nach einvernehmlicher Variation
ihrer Sexualpraxis angesehen. Insgesamt ist der Umgang junger Männer mit Pornografie
wählerisch, er folgt ihren Vorlieben, die in der Regel konventionell und heterozentriert
sind. Einen Einfluss hat der Pornografiekonsum auf ihre Bereitschaft, neue Koitusstellungen
und oralen Sex real oder in der Fantasie auszuprobieren. Eine kritische Sicht auf
das in der herkömmlichen Pornografie produzierte Männer- und Frauenbild ist bei jungen
Männern sehr verbreitet, auch bei denjenigen mit hohem Pornografiekonsum. Die Unaufgeregtheit,
mit der Jugendliche über ihre Erfahrungen mit Pornografie sprechen, steht den AutorInnen
zufolge in einem auffälligen Kontrast zur Dramatik der öffentlichen Debatte.
Schlüsselwörter:
Jugendsexualität - männliche sexuelle Sozialisation - Pornografie - sozialer Wandel
der Sexualität
Literatur
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1 Nach dem vierstufigen Rating der gesamten Pornografieerfahrung, vgl. Matthiesen et
al. (2011: 332, in diesem Heft).
2 Die Aussage des Sexualforschers Jakob Pastötter, Pornografie werde „zur Leitkultur
der Unterschicht“ (zitiert nach Wüllenweber 2007), erweist sich angesichts dieser
Daten und bezogen auf Jugendliche als blanke (Mittelschichts-)Spekulation.
3 Vgl. [Fußnote 1], S. 354.
4 „Pornography is that depiction manufactured with the intent to produce erotic excitement.
Pornography is pornographic when it does excite. Not all pornography, then, is pornographic
to all“ (Stoller 2009: 11).
5 Die Korrelation (Spearman-Rangkorrelation) zwischen diesen beiden Merkmalen beträgt
in unserer Stichprobe r = 0,66 (p < .001).
6 Offenbar hat sich nur die Art der Masturbationsvorlagen, nicht aber die Masturbationsfrequenz
durch die leichte Verfügbarkeit der Pornografie verändert: 19- und 20-jährige Studenten,
die wir 1996 befragten (vgl. Schmidt 2000) und die 16- bis 19-jährigen Gymnasiasten
dieser Studie hatten gleichermaßen im Durchschnitt etwa 9 Mal in den letzten vier
Wochen vor der Befragung masturbiert.
7 Vgl. [Fußnote 1], S. 354.
8 Bei den anderen lag der letzte Pornokonsum zu lange zurück oder sie äußerten sich
nicht zum Thema.
9 Vgl. [Fußnote 1], S. 354.
10 Vgl. [Fußnote 1], S. 354.
11 16 Befragte mit sporadischen oder geringen Pornoerfahrungen (Rating 1 und 2, vgl.
[Fußnote 1], S. 354) machten zu diesem Komplex keine Angaben, bei sieben Jungen mit mäßigem
bzw. hohem Konsum wurde dieser Komplex nicht bearbeitet.
Dr. S. Matthiesen
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf · Institut für Sexualforschung und Forensische
Psychiatrie
Martinistr. 52
20246 Hamburg
Email: smatthie@uke.uni-hamburg.de