Zentralbl Chir 2011; 136(6): 629-630
DOI: 10.1055/s-0031-1283780
Kongressnachlese

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York

Krebskongress Sachsen-Anhalt 2011 – Zeugnis interdisziplinärer Onkologie im regionalen Maßstab (ein Resümee)

Cancer Congress of the German State Saxony-Anhalt 2011 – Attestation of Interdisciplinary Oncology on a Regional Scale (A Resumé)U. Rebmann1
  • 1Diakonissenkrankenhaus Dessau gemeinnützige GmbH, Klinik für Urologie, Kinderurologie & urologische Onkologie, Dessau, Deutschland
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Publication Date:
25 October 2011 (online)

Der 4. Krebskongress Sachsen-Anhalts vom 25. bis 26.3.2011 in Magdeburg stand unter dem Motto „Was ist bewährt, was ist neu? Alles Gute war mal neu, aber nicht alles Neue ist gut“. 

Ziel des Krebskongresses war die Bestandsaufnahme sowie die Darstellung der Leistungsfähigkeit der universitären, aber auch der flächendeckenden onkologischen Versorgung in Sachsen-Anhalt. Interdisziplinäre Themensitzungen, die ergänzt wurden durch die organbezogene Betrachtung der am häufigsten auftretenden Tumoren, standen im Vordergrund. Komplettiert wurden diese Themen zusätzlich durch Vorträge zur Supportivtherapie, Palliativmedizin und dem Nebenwirkungsmanagement, vor allem neuer Medikamente. 

Teilnehmer waren 327 Ärzte, Psychologen sowie Schwestern und Patienten aus dem gesamten Land Sachsen-Anhalt. 

Insgesamt wurde dieser Kongress getragen durch die drei großen Tumorzentren des Landes. Neben der interdisziplinären onkologischen Themenarbeit stand eine gesundheitspolitische Diskussion sowie ein Patientenforum auf dem Programm. Beide Veranstaltungen wurden sehr gut angenommen. 

Im Rahmen der Diagnostik wurde der Stellenwert der klassischen bildgebenden Verfahren wie Computertomografie und Magnetresonanztomografie dargestellt und diskutiert. Dabei ist die Computertomografie im Bereich der Darstellung der klassischen morphologischen Diagnostik das „Arbeitspferd“ der Diagnostik. 

Bei anspruchsvollerer Morphologie ist die Magnetresonanztomografie vorzuziehen. Gleiches gilt für das Therapiemonitoring, insbesondere dann, wenn neue Methoden der MRT wie die Diffusions-MRT zur Anwendung kommen (Ricke, Magdeburg). 

Positronen-Emmissions-Tomografie als Hybridbildgebungsverfahren zwischen Computertomografie und Nuklearmedizin wurde von Granzow (Dessau) dargestellt. Dabei wurde der Stellenwert bei verschiedenen Tumorentitäten charakterisiert. 

Die PET-CT führt in 30 % zu einer Änderung des Therapiemanagements und des Therapiemonitorings. Laut EEGRO kommt es durch die Anwendung der PET-CT zu einer 25 %igen Änderung in der Bestrahlungstechnik. 

Als neues, sich noch in Erprobung befindliches Verfahren gilt die Diffusions-MRT. Diese gibt Informationen zur Gewebezelldichte jenseits der morphologischen Bildgebung. Damit ist es möglich, Läsionen zu identifizieren, die Dignität zu bestimmen und gegebenenfalls eine Tumorveränderung nach Therapie zu bewerten. Die Diffusions-MRT stellt damit ein zusätzliches Hilfsmittel zur morphologischen Bildgebung dar (Dudeck, Magdeburg). 

Über die molekular vermittelte Diagnostik und Therapie mit Radionukleiden berichtete Birgit Möller (Halle). Durch die spezifische Anreicherung unterschiedlicher Radiopharmaka im maligne transformierten Gewebe können Tumormanifestationen visualisiert und ein Therapieansprechen quantifiziert werden. Gleichzeitig bildet sie durch die Darstellung der Überexpresson von Rezeptorentransportern die Basis für molekular vermittelte nuklearmedizinische Therapie. 

Die Mikrotherapie bietet die Möglichkeit, neben der vollständigen Resektion von Tumormetastasen in kurativer Absicht in palliativen Situationen durch thermische Verfahren wie Radiofrequenz oder mit nichtthermischen Verfahren wie Brachytherapie, Radioembolisation oder Chemoembolisation, Metastasen in verschiedenen Organsystemen effektiv zu behandeln (Pech, Magdeburg). 

Cordula Petersen (UKE Hamburg) stellt den Stellenwert der Strahlentherapie in der onkologischen Behandlung dar. Dabei werden unzweifelhaft die hohe Leitliniendisziplin der Strahlentherapeuten, aber auch ökonomische Probleme bei der Abbildung der technologischen Leistungen innerhalb der Behandlungskonzepte dargestellt. 

Die Effektivität der Strahlentherapie wird von Gademann (Magdeburg) am Beispiel des Prostatakarzinoms erläutert. Die 3D-konformale Strahlentherapie von Patienten mit Prostatakarzinom ist sicher und zeigt eine exzellente Tumorkontrolle, ohne Patienten in einem „Low-risk“-Stadium zu gefährden. Die IMRT sollte nur bei „High-risk“-Patienten durchgeführt werden. Dabei besteht eine gering erhöhte Chance des Auftretens von Zweittumoren. 

Die stereotaktische Behandlung von Lungenmetastasen (Reese, Halle) und Lebermetastasen (Vordermark, Halle) zeigte exzellent gute Zweijahreskontrollraten von 80 bis 90 % der Patienten bei negativ selektionierten Individuen. Dabei ist die Toxizität in der Lunge als auch in der Leber mit moderat bezeichnet worden. 

Seidensticker (Magdeburg) stellt die Yttrium-Radioembolisation durch Verwendung von Mikrosphären, die mit 90Y beladen sind, vor. Diese Methode entwickelt sich vom palliativen Ansatz zu einer Kombination palliativ-kurativ bzw. zur „First-line“-Therapie bei akzeptabler Toxizität, vor allem bei Patienten mit HCC (hepatozellulärem Karzinom). 

Ein weiterer großer Themenkomplex war die Behandlung von Tumormetastasen. 

Lippert (Magdeburg) stellte die chirurgische Therapie von Lebermetastasen unter dem Motto „Was hat sich geändert“ dar [1] [2] [3] [4] . Von 73 000 Neuerkrankungen bei Patienten mit kolorektalen Karzinomen haben 60 % der Patienten Fernmetastasen. Dabei ist von 10 bis 20 % der Patienten mit primär resektablen Lebermetastasen eine operative Sanierung möglich. Zusätzlich kommen 5 % mit sekundär resektablen Lebermetastasen. Lippert betonte, dass die allgemein akzeptierten Kontraindikationen für eine Leberresektion der 80er-Jahre nicht mehr gelten. Bei Indikation zur Leberresektion, z. B. bei Lebermetastasen von kolorektalen Karzinomen, besteht die Möglichkeit einer vollständigen R0-Resektion bei OP-Fähigkeit des Patienten als auch erzielbarem Erhalt des arteriellen / portalen Zuflusses und des venösen Abflusses der Leber sowie bei erhaltener biliärer Dränage. Das verbleibende Lebergewebe muss in seiner Funktion ausreichend sein, d. h. mindestens 25 % gesundes Lebergewebe muss verbleiben. Bei Leberzellschädigung erhöht sich der notwendige Leberanteil auf bis zu 60 % [4]. 

Dargestellt werden zusätzlich Strategien zur Erhöhung des Anteils operabler Metastasen wie eine präoperative Chemotherapie, eine Portalvenenembolisation, eine zweizeitige Resektion sowie eine lokale Tumordestruktion und Hybridverfahren [5] [6] . 

Zusammenfassend bleibt jedoch trotz aller Verbesserungen der medikamentösen Therapie die komplette chirurgische Resektion, z. B. kolorektaler Lebermetastasen, das einzig kurative Verfahren. 

Held (Torgau / Halle) berichtet über die operative Behandlung von Knochenmetastasen. 

Das Behandlungsziel von Knochenmetastasen ist entweder kurativ oder palliativ, wobei das Stammskelett häufiger betroffen ist als die langen Röhrenknochen. Lebensqualität steht im Mittelpunkt. Erhalt oder die Wiederherstellung von Statik, Funktion und Mobilität werden in den Vordergrund gestellt. Dabei spielt der Schutz nervaler Strukturen sowie Reduktion neurologischer Defizite eine entscheidende Rolle. Die operative Behandlung von Knochenmetastasen ist immer eine Einzelfallentscheidung in interdisziplinärer Zusammenarbeit. Dabei soll die kleinstmögliche sinnvolle Operation im Rahmen einer palliativen Therapie durchgeführt werden, da die Überlebenszeit durch die Operation nicht beeinflusst wird. Die Verbesserung der Lebensqualität des Patienten durch Erhalt der Mobilität und die Schmerzlinderung sind vorrangigste Ziele. 

Schreiber (Magdeburg) berichtet über Lungenmetastasen, wann operieren, wann medikamentös behandeln? Wann immer möglich, sollte eine chirurgische Metastasenresektion erfolgen. Dabei existieren große intra- und interindividuelle Unterschiede, ohne einen signifikanten Unterschied zwischen verschiedenen Tumorentitäten nachzuweisen. Voraussetzung für eine kurative Resektion von Lungenmetastasen ist die Abwesenheit von extrapulmonalen Metastasen sowie die mögliche komplette Resektion der Metastasen in ihrer Gesamtzahl. Eine ausreichende Lungenfunktion auch für multiple atypische Resektionen sowie ein akzeptables operatives Risiko sind weitere Voraussetzungen. Die Behandlung von Lungenmetastasen bedingt immer eine interdisziplinäre Therapieplanung. 

In palliativer Situation bei endobronchialer Metastasierung ist die Einlage von Stents bzw. eine Argon-Plasma-Koagulation zum Offenhalten der betroffenen Bronchien notwendig. Eine CT-gesteuerte Brachytherapie kommt in speziellen Fällen in Frage. Weiterhin spielen Thermoablation und Brachytherapie in der palliativen Situation eine Rolle. 

Steiner (Erfurt) berichtet über die medikamentöse Behandlung von Knochenmetastasen. Die Gabe des Bisphosphonates Zometa oder die Verabreichung des Rank-Ligand-Inhibitors Denosumab führt zu einer deutlichen Verringerung metastasenbezogener Komplikationen, ohne den Nachweis bisher erbracht zu haben, dass das Gesamtüberleben oder das progressionsfreie Leben verlängert werden kann. 

Hoda (Halle) berichtet über die Isolierung zirkulierender Tumorzellen aus dem Blut bei Prostatakarzinompatienten. Ziel der Untersuchung war es, anhand des Nachweises zirkulierender Tumorzellen z. B. ein Therapiemonitoring beim Prostatakarzinom zu gestalten bzw. die zirkulierenden Tumorzellen als Prognoseparameter bei urologischen Tumoren zu benutzen. 

Eine weitere interdisziplinäre Sitzung beschäftigte sich mit sexuellen Funktionsstörungen nach beckenchirurgischen Eingriffen. 

Wießner (Dessau) stellte neben der nervalen anatomischen Versorgung im Becken die nervalen Strukturen heraus, die bei beckenchirurgischen Eingriffen erheblich geschädigt werden können. Dies unter dem Motto „Wissen, was man sehen muss“. Trotz hochtechnisierter OP-Verfahren werden Strukturen verletzt, die zu Funktionsstörungen von Blase und Rektum führen, von sexuellen Funktionsstörungen zu schweigen. Es ist davon auszugehen, dass etwa 40 bis 50 % aller beckenchirurgischen Karzinomeingriffe eine Störung der Miktion und Defäkation nach sich ziehen. 

Korda (Hamburg) stellte durch Schädigung der entsprechenden Nervensysteme die Entstehung der erektilen Dysfunktion nach verschiedenen beckenchirurgischen Eingriffen vor. Diagnostische und therapeutische Möglichkeiten, insbesondere medikamentöser Art, wurden diskutiert. 

Bähre (Halle) betonte, dass die erektile Dysfunktion nicht nur ein Männerproblem ist. Die Zusammenhänge zwischen erektiler Dysfunktion, Partnerschaftsbeziehung, Lebensqualität, Familienleben werden diskutiert. 

Seseke (Halle) stellt die operative Therapie der männlichen Inkontinenz in Abhängigkeit des Ausmaßes der jeweiligen inkontinenten Situation dar. 

Neuro-urologische Behandlungsmöglichkeiten bei Funktionsstörungen der Harnblase und des Darmes durch sakrale Neuromodulation wird von Volkert (Wittenberg) vorgestellt. 

Eine vielbeachtete interdisziplinäre Sitzung befasste sich mit Organzentren. Alle Beteiligten waren sich einig, dass die Qualität der Medizin von Kostenträgern und Politik leider nur noch an der Strukturqualität gemessen wird. Die medizinische Ergebnisqualität scheint dabei von untergeordneter Bedeutung zu sein, ist für den Patienten jedoch existenziell. 

Sinn und Unsinn von Organzentren wurden diskutiert. Gefühlt, waren sich alle Diskutanten einig, muss es zu einer Verbesserung der Ergebnisqualität bei hoher Strukturqualität kommen. Die entsprechende Versorgungsforschung dazu steht jedoch aus. 

Die häufigsten Organtumoren sowie palliative und supportive Therapieansätze wurden in verschiedenen Sitzungen besprochen. 

Insgesamt war der Sachsen-Anhaltische Krebskongress an beiden Tagen ein sehr gut besuchtes, stark interdisziplinär bestimmtes Gremium. 

Für Patienten konnte die Sicherheit vermittelt werden, dass in Sachsen-Anhalt sämtliche modernen Diagnostik- und Therapieverfahren mit adäquater Ergebnisqualität durchgeführt werden und für alle Patienten zugänglich sind. 

Literatur

  • 1 Auernhammer C J, Jauch K W, Hoffmann J N. Lebermetastasierung bei neuroendokrinen Karzinomen des gastro-entero-pankreatischen Systems – Therapiestrategien.  Zentralbl Chir. 2009;  134 410-417
  • 2 Lehner F, Ramackers W, Bektas H et al. Leberresektion bei nicht kolorektalen, nicht neuroendokrinen Lebermetastasen – ist die Resektion im Rahmen des onko-chirurgischen Therapiekonzeptes gerechtfertigt?.  Zentralbl Chir. 2009;  134 430-436
  • 3 Hopt U T, Drognitz O, Neeff H. Zeitlicher Ablauf von Leber- und Darmresektion bei Patienten mit kolorektalem Karzinom und synchronen Lebermetastasen.  Zentralbl Chir. 2009;  134 425-429
  • 4 Heise M, Jandt K, Rauchfuss F et al. Management von Komplikationen nach Leberresektionen.  Zentralbl Chir. 2010;  135 112-120
  • 5 Vysloŭil K, Klementa I, Starý L et al. Radiofrequenzablation von kolorektalen Lebermetastasen.  Zentralbl Chir. 2009;  134 145-148
  • 6 Rentsch M, Winter H, Bruns C J et al. Cyberknife®-Chirurgie mit dem Strahlenmesser: eine neue Behandlungsalternative für Patienten mit inoperablen Metastasen.  Zentralbl Chir. 2010;  135 175-180

Prof. Dr. med. U. Rebmann

Kongresspräsident des 4. Sachsen-Anhaltischen Krebskongresses · Diakonissenkrankenhaus Dessau gemeinnützige GmbH · Klinik für Urologie, Kinderurologie & urologische Onkologie

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