Gesundheitswesen 2011; 73 - A52
DOI: 10.1055/s-0031-1283668

Adipositas, „inzidente„ Unzufriedenheit mit dem Gewicht und sozioökonomischer Status als Prädiktoren ambulanter Inanspruchnahme: ein 7-Jahres-Follow-Up in der Region Augsburg

T von Lengerke 1, A Döring 2, R Holle 2, K Lange 1 A Mielck 3, KORA-Studiengruppe
  • 1Medizinische Hochschule Hannover, Hannover
  • 2Helmholtz Zentrum München, Neuherberg
  • 3Medizinische Hochschule Hannover, Neuherberg

Einleitung/Hintergrund: Querschnittsanalysen der Kooperativen Gesundheitsforschung in der Region Augsburg (KORA) haben gezeigt, dass Unzufriedenheit mit dem eigenen Körpergewicht bei Erwachsenen die adipositasassoziiert erhöhte ambulante Inanspruchnahme von Heilpraktikern, nicht jedoch von Allgemeinärzten vermittelt [1–3]. Die vorliegende Analyse untersucht die Frage, ob nach Gewichtszunahme die Entstehung solcher Unzufriedenheit („inzidente“ U.) mit der Inanspruchnahme assoziiert ist, und welche Rolle dem sozioökonomischen Status (SES) dabei zukommt. Daten und Methoden: Im KORA-Survey F4 wurden 3080 Teilnehmer des KORA-Surveys S4 (1999–2001) nach 7 Jahren nochmals untersucht und befragt (Responserate: 79,6%; Alter zu S4: 25–74; 48,2% Männer). Inanspruchnahme, Unzufriedenheit mit dem Gewicht und SES wurden per CAPI erhoben, der SF-12 durch Selbstausfüllfragebogen, und der BMI anthropometrisch gemessen. Die Analysestichprobe umfasste N=807 Teilnehmer (Ausschluss: Untergewicht), die zu S4 mit ihrem Gewicht zufrieden gewesen waren und zu F4 mindestens zwei Kilogramm zugenommen hatten. Ergebnisse: Für Hausarztkontakte zu F4 zeigte sich, dass nicht inzidente Unzufriedenheit mit dem Gewicht, sondern eingeschränkte körperliche Lebensqualität die im Vergleich zu Normalgewichtigen höhere Rate bei Adipösen (OR=2,2, p<0,05) erklärte (OR nach SF-12-Adjustierung: 1,4, ns). Demgegenüber zeigten sich bezüglich Heilpraktikern weder adipositas- noch lebensqualitätsassoziierte Inanspruchnahme, jedoch hatten Personen mit inzidenter Unzufriedenheit höhere Odds Ratios für einen solchen Kontakt (OR=2,1, p<0,05). Dieser Zusammenhang wird partiell durch höheren SES erklärt (OR nach Adjustierung für Helmert-Index: 1,8, p<0,10). Diskussion/Schlussfolgerungen: Für die Inanspruchnahme von Allgemeinärzten spielt nach Gewichtszunahme vor allem eingeschränkte körperliche Lebensqualität eine Rolle, die auch die hier adipositasassoziiert erhöhte Inanspruchnahme vermittelt. Dagegen wird der Kontakt zu Heilpraktikern durch inzidente Unzufriedenheit mit dem Gewicht und höheren SES erklärt. Dabei bedingt Unzufriedenheit bei höherem SES die Inanspruchnahme. Angesichts von Befunden, dass Alternativmedizinnutzer patientenzentrierte Kommunikationsstile präferieren [4], deutet sich damit die Möglichkeit eines höheren subjektiven(!) Bedarfs an sprechender Medizin bei Personen mit höherem SES nach Gewichtszunahme an.

Literatur:

1 von Lengerke T, John J; KORA Study Group. Use of medical doctors, physical therapists, and alternative practitioners by obese adults: does body weight dissatisfaction mediate extant associations? J Psychosom Res 2006;61:553–60 2 von Lengerke T. Inanspruchnahme gesundheitsbezogener Versorgung: Forschungsstand in Deutschland und Implikationen für Prävention. In Heintze C, editor. Adipositas und Public Health. Weinheim: Juventa; 2010. p.65–81 3 von Lengerke T. Ambulante Versorgungsnutzung adipöser Erwachsener: Psychisch bedingt? Verhaltensepidemiologie und Ergebnisse der Kooperativen Gesundheitsforschung in der Region Augsburg. Saarbrücken: Südwestdeutscher Verlag für Hochschulschriften; 2010 4 Swenson SL, Buell S, Zettler P, White M, Ruston DC, Lo B. Patient-centered communication: do patients really prefer it? J Gen Intern Med. 2004;19:1069–1079