Die Analyse gesundheitlicher Ungleichheiten fokussiert zunehmend die Erklärung des
sozialen Gradienten in der Gesundheit. Materielle, psychosoziale und verhaltensbezogene
Faktoren stehen dabei im Mittelpunkt und wurden bislang auf häufigsten empirisch untersucht.
Ziel des systematischen Reviews ist es, eine Bestandsaufnahme empirischer Studien
vorzunehmen, die eine Quantifizierung der relativen Erklärungsanteile unterschiedlicher
Faktorengruppen untersuchten, diese kritisch zu analysieren und zu bewerten. Methoden: Die computergestützte Literaturrecherche erfolge in den internationalen englischsprachigen
medizinischen und sozialwissenschaftlichen Datenbanken ‘Pubmed’, ‘Web of Science’
und ‘PsycINFO’ (Zeitraum 1996–2010). Die Recherche und Bewertung der Studien wurde
von zwei unabhängigen Begutachtern durchgeführt, bei Uneinigkeit wurde ein 3. Gutachter
hinzugezogen. Insgesamt wurden 3.984 relevante Treffer erzielt, wobei 25 dieser Veröffentlichungen
die Ein- und Ausschlusskriterien erfüllten. Ergebnisse: Bis auf eine Studie beziehen sich die identifizierten Studien auf die erwachsene
Bevölkerung. Die meisten Studien (7 von 25) stammen aus den Niederlanden, gefolgt
von Finnland (5). Die relative Bedeutung unterschiedlicher Faktorengruppen für die
Erklärung gesundheitlicher Ungleichheiten wurde am häufigsten für die subjektive Gesundheit
(8) und die Mortalität (8) analysiert, geschlechtsspezifische Aussagen liegen für
Männer (13) und Frauen (6) vor. In der separaten Betrachtung haben materielle, psychosoziale
und verhaltensbezogene Faktoren tendenziell einen vergleichbar hohen Erklärungsbeitrag.
Bei über der Hälfte der Studien liegt der Anteil, der durch die Ansätze erklärt werden
kann, bei 50–100%; bei Frauen etwas geringer. Da materielle/strukturelle Lebensumstände
auch die psychosozialen Bedingungen und das Gesundheitsverhalten (indirekt) beeinflussen,
ist ihr Einfluss – unabhängig vom Outcome – aber höher, als dies ohne eine gleichzeitige
gemeinsame Analyse suggeriert wird. Schlussfolgerungen: Die drei wichtigsten Ansätze tragen alle zur Erklärung gesundheitlicher Chancenungleichheiten
in der Morbidität, Mortalität und Gesundheit bei. Den materiellen/strukturellen Faktoren
kommt die größte Bedeutung zuteil, da sie direkt als auch indirekt wirken. Maßnahmen
zur Reduzierung gesundheitlicher Ungleichheiten sollten demnach auf die materiellen/strukturellen
Lebensbedingungen abzielen, ohne dabei aber die Stärkung psychosozialer Ressourcen
sowie die Verringerung der Belastungen und der gesundheitsschädlichen Verhaltensweisen
auszublenden.