Rehabilitation (Stuttg) 2011; 50(04): 271-273
DOI: 10.1055/s-0031-1280820
Bericht
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Symposium des Rehabilitationswissenschaftlichen Forschungsverbundes Freiburg/Bad Säckingen zum Thema „Reha 2020 – Neue Vergütungssysteme in der Rehabilitation?“ vom 18. bis 19. Februar 2011 in Freiburg

Symposium of the Freiburg/Bad Säckingen Rehabilitation Research Network on Theme “Reha 2020 – Novel Remuneration Systems in Rehabilitation?” Held February 18–19, 2011 in Freiburg
A. Uhlmann
1   Rehabilitationswissenschaftlicher Forschungsverbund Freiburg/Bad Säckingen und Deutsche Gesellschaft für Rehabilitationswissenschaften
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Publication Date:
28 July 2011 (online)

Nachdem das erste Symposium der Veranstaltungsreihe Reha 2020 des Rehabilitationswissenschaftlichen Forschungsverbundes Freiburg/Bad Säckingen im Dezember 2009 zum Thema „Neue Aufgaben- und Rollenverteilung in der Rehabilitation“ nachhaltige Diskussionen ausgelöst hat (u. a. beim Rehabilitationswissenschaftlichen Kolloquium 2010 in Leipzig und auf einem Workshop der Deutschen Rentenversicherung Bund im August 2010), hat der Forschungsverbund in einer weiteren Veranstaltung vom 18. bis 19. Februar 2011 wieder ein brisantes Thema aufgegriffen: „Neue Vergütungssysteme in der Rehabilitation?“ Über 160 Repräsentanten von Rehabilitationseinrichtungen aus dem ärztlichen, therapeutischen und Verwaltungsbereich, von Reha-Trägern, medizinischen Diensten, Ausbildungseinrichtungen, aus der rehabilitationsnahen Industrie und aus dem medizinrechtlichen Umfeld haben sich von dem Thema angesprochen gefühlt und kamen in den Hörsaal der Frauenklinik des Universitätsklinikums Freiburg. Die Verbesserung der Qualität im System der Rehabilitation mit gleichzeitiger Einsicht in die Notwendigkeit des sorgsamen und effizienten Umgangs mit den vorhandenen finanziellen Ressourcen scheint nach diesem Interesse nicht mehr nur ein Postulat von Politik und Geldgebern zu sein – alle direkt und indirekt am Segment Rehabilitation im Gesundheitswesen Beteiligten haben demnach ein Interesse, sich insbesondere um der Qualität willen mit den dazugehörigen finanziellen Fragen zu beschäftigen.

Zur Einführung machte Prof. Wilfried H. Jäckel klar, dass Vergütungsfragen erheblichen Einfluss auf die Entwicklung des Reha-Systems haben können. Eckpunkte der derzeitigen finanziellen Situation der Reha-Einrichtungen sind (nach dem Reha-Rating-Report und dem GEBERA-Gutachten) die nicht durch Vergütungssätze ausgeglichenen Kostensteigerungen, damit einhergehend ein erheblicher Investitionsstau, suboptimale Bettenauslastung und dadurch eine hohe Insolvenzgefährdung. Neue Vergütungssysteme wie Diagnosis Related Groups (DRGs) können erhebliche Anreize zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit, aber auch zu einer Verlagerung von Kosten in andere Sektoren des Gesundheitsversorgungssystems setzen. Ein erfolgversprechender Ansatz kann in der ergebnisorientierten Vergütung gesehen werden, der jedoch im System der Rehabilitation bisher noch nicht eingesetzt wurde.

Der Erste Direktor der Rentenversicherung Rheinland-Pfalz Hartmut Hüfken informierte anhand von konkreten Zahlen über die aktuelle Ausgabensituation der Rentenversicherung auf Bundesebene und über das Problem des gedeckelten Budgets, das sich an der Entwicklung der Bruttolohnsummen orientiert. Bei gestiegenen Antragszahlen auf medizinische Rehabilitation bestehe jetzt das Risiko einer „Reha nach Kassenlage“. Für Hüfken widerspricht dies dem vom Gesetzgeber formulierten Auftrag der Rentenversicherung „Reha vor Rente“. Nur 2,1% der Ausgaben der Rentenversicherung wurden 2008 für die Rehabilitation aufgewendet, für Erwerbsminderungsrenten hingegen 5,9%. Von den Reha-Aufwendungen der Rentenversicherung gingen 80% an die Leistungserbringer im Reha-Sektor und finanzierten dort geschätzte 65 000 Beschäftigte.

Gestiegen sind auch die Aufwendungen für die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben – was der Zielsetzung der beruflichen Wiedereingliederung bei der Rentenversicherung entspricht, z. T. aber auch durch Zuständigkeitsverlagerungen anderer Leistungsträger bedingt ist. Klare Zuständigkeiten, Benchmarking zwischen den Einrichtungen, stärkere Vernetzung und Koordination zwischen Leistungserbringern und Betrieben, die Flexibilisierung zwischen dem ambulanten und stationären Bereich, aber auch eine stringentere Prüfung der Reha-Anträge waren Aspekte, die Hüfken für das Ziel „Nicht an Reha, sondern durch Reha sparen“ propagierte.

Dr. Hans-Günter Haaf von der Deutschen Rentenversicherung Bund konstatierte in seinem Beitrag eine geringe Transparenz der Vergütung im derzeitigen System der Rehabilitation und die niedrigeren Pflegesätze als in der Akutmedizin. Natürlich soll Qualität durch Vergütung abgesichert werden – aber braucht man dazu Fallpauschalen? Haaf sprach sich trotz der größeren Transparenz, der besseren Vergleichbarkeit und eines stärkeren Wettbewerbs eindeutig dagegen aus: „Fallpauschalen sind in der Reha nicht angemessen.“ Wie der Referent zeigen konnte, schlägt sich die Fallschwere nicht automatisch in Geld nieder. Allerdings könnten so genannte „Fallgruppen“, die Patienten mit einem homogenen Behandlungsbedarf zusammenfassen, durchaus sinnvoll sein. Diese Fallgruppen könnten als Grundlage für die Vergütung dienen. Momentan liegt aber kein unmittelbar einsetzbares Fallgruppensystem vor. Zudem sprach er eine deutliche Warnung aus: „Alle Veränderungen des bestehenden Vergütungssystems bei knappen Kassen sind ein Drahtseilakt.“

Auch der nächste Referent, der Erste Direktor Hubert Seiter von der Rentenversicherung Baden-Württemberg, sprach gleich zu Beginn seines Vortrags von Transparenz. Für ihn heißt das, über ein System zu reden und Irritationen zu schaffen – z. B. in Gesprächen die Fakten über die Reha zu transportieren, damit nicht falsche Vorstellungen über den finanziellen Rahmen Veränderungen behindern, und um dem „Reha-Geschäft mehr Feuer zu geben“. Für Seiter gehören Visitationen von Reha-Einrichtungen und Kostenfindung zusammen. Um zu einer „intelligenten Budget-Weiterentwicklung“ zu kommen, stehen für Seiter das Gespräch, die Klarheit und die fachliche Orientierung im Vordergrund. Der besseren Kommunikation dienen bestimmt die Servicestellen für Alterssicherung und Rehabilitation, die ab 1. März 2011 von der Rentenversicherung eingerichtet werden. Im Rahmen der weiteren Veranstaltung erwähnte er kritisch, dass in Baden-Württemberg nur einer von 4 neurologischen Patienten das System der Frührehabilitation erreicht.

Andreas Schmöller von der AOK Baden-Württemberg, der in Vertretung von Dr. Christopher Hermann sprach, schrieb der Individualisierung von Rehabilitationsleistungen eine wesentliche Schlüsselrolle im Rahmen von Modellprojekten zu. Er stellte ein Projekt der Universität Heidelberg im Bereich Geriatrie unter Leitung von Prof. Andreas Kruse vor (ARISE), das zum Ziel hatte, zeitnah in richtige Versorgungsformen zu überweisen und eine stabile Versorgungssituation zu implementieren. Die AOK möchte das Reha-Antragsverfahren entbürokratisieren. In diesem Rahmen soll ein Versuch gestartet werden, durch ein gemeinsames Assessment das sonst übliche Reha-Antragsverfahren überflüssig zu machen.

In der anschließenden Diskussion wurden konkrete Angebote für die Nachsorge angemahnt. Schmöller sah die Nachsorge im AOK-Projekt „proReha“ inkludiert. Seiter stellte dazu ganz entschieden fest, dass die ganze Reha „nichts taugt, wenn die Nachsorge nicht funktioniert.“

Thomas Bublitz vom Bundesverband Deutscher Privatkliniken (BDPK) beklagte zu Anfang seines Referates den nicht wettbewerbsfördernden Marktzugang von Reha-Anbietern und die starke Position der Reha-Träger. Zugleich stellte er fest, dass „immer mehr Patienten in immer weniger Betten“ behandelt werden und ein Drittel der Reha-Kliniken von Insolvenz bedroht ist. Der Referent bezog sich auf ein Statement des Sachverständigenrates von 2003, das Fallpauschalen in der Rehabilitation einen qualitätsmindernden Zeitdruck zuschrieb. Eher geeignet erschienen einrichtungsübergreifende Tagespauschalen. Bublitz’ Forderung an ein Versorgungssystem: leistungsorientiert, unbürokratisch und überprüfbar – und erst in zweiter Linie kostenorientiert.

Die Patientenvertreterin Marion Rink von der Deutschen Rheumaliga machte auf den ihrer Meinung nach spektakulären Artikel 26 der Behindertenrechtskonvention aufmerksam, der „… ein Höchstmaß an Unabhängigkeit, umfassende körperliche, geistige, soziale und berufliche Fähigkeiten sowie die volle Einbeziehung in alle Aspekte des Lebens …“ für Behinderte garantieren soll. An unserem derzeitigen diagnoseorientierten Vergütungssystem übte die Referentin deutliche Kritik. Für Rink wirkt sich die Vergütung selbstverständlich auf die Versorgung aus. Zu oft wird schlechte Qualität mit schlechter Bezahlung gerechtfertigt. Das DRG-System und Fallpauschalen aus der Akutmedizin sollten auf keinen Fall auf die Rehabilitation übertragen werden. Die Vergütung sollte Anreize für Qualität schaffen, um eine Verbesserung der Lebensqualität für die Rehabilitanden auch tatsächlich zu erreichen.

Oliver Blatt vom Verband der Ersatzkassen (VdEK) sprach sich für eine Betrachtung der Rehabilitation im gesundheitspolitischen Zusammenhang aus. Er problematisierte den neu eingeführten Gesundheitsfonds, der konjunkturabhängig ist; denn damit entstehe eine direkte Abhängigkeit der Leistungen für Gesundheit von der Wirtschaftslage. Ebenso kritisch sah der Referent die „Sündenbock“-Rolle der demografischen Entwicklung: Die Veränderung der Altersstruktur unserer Gesellschaft müsse zwar ernst genommen werden, aber sie dürfe nicht zu einer „Panikmache“ führen. Für Blatt haben die DRGs in der Akutmedizin nicht so viel gebracht und sollten nicht im Reha-System eingeführt werden – zumal der maschinelle Datenaustausch mit einigen Reha-Kliniken immer noch nicht möglich ist. Es wäre eher noch ein zusätzliches Problem in der Reha. Das Fazit: „Man braucht kein neues Vergütungssystem, um die Qualität in der Reha zu verbessern!“ Ein interessantes Problem hat Blatt am Rande erwähnt: Das System der ICF ist bei Hausärzten oft nicht bekannt und das steht häufig einer effektiven Vernetzung im Wege.

Nadine Vorsatz beschrieb die Sicht der Deutschen Rentenversicherung Bund als eher skeptisch gegenüber neuen Vergütungssystemen. Fallpauschalen seien nicht das Mittel der Wahl für das Rehabilitationssystem. Sie stellte ein Modellprojekt eines Patientenklassifikationssystems der Charité vor: die „Rehabilitations-Management-Kategorien“ (RMK). Das Kriterium für die Klassifikation, die exemplarisch bei Alkoholabhängigkeit, chronischem Rückenschmerz sowie Knie- und Hüft-TEP angewendet wird, ist der Rehabilitationsbedarf. Dabei steht die Leistungsdifferenzierung im Fokus, die zu einem angemessenen Vergütungssystem überleiten soll. Ziel ist, den Zugang zum Rehabilitationssystem durch standardisierte Bedarfsidentifikation zu verbessern. In der Diskussion wurde positiv vermerkt, dass mit den RMK ein Schritt weg von den Diagnosen versucht werde. Bedenken wurden geäußert, da sich im Vortrag von Haaf gezeigt habe, dass der Reha-Aufwand nicht unbedingt mit dem Schweregrad der Erkrankung steigt.

Viele der Bälle, die im Laufe der Tagung auf das Spielfeld kamen, nahm Dr. Nikolaus Gerdes vom Hochrhein Institut Bad Säckingen auf. Für Gerdes stellen die Ansätze des Pay for Performance neben sehr vielen positiven Auswirkungen auch „Anreize zu Datenmanipulation, Rosinenpickerei und Betrug“ dar. Das Ziel, möglichst die Durchschnittsqualität in den Reha-Einrichtungen insgesamt anzuheben, könnte nach Gerdes durchaus mit seinem vorgestellten Projekt erreicht werden. Das Prinzip des Projekts „Ergebnisorientierte Vergütung nach Schlaganfall (ERGOV)“ besteht darin, dass Kliniken untereinander einen „Qualitätswettbewerb“ organisieren mit einem wissenschaftlichen Institut als „Schiedsrichter“. Deutlich höhere Kosten entstehen für das Reha-System durch dieses Vorgehen nicht, da die schlecht abschneidenden Kliniken einen Malus-Betrag auf ein Treuhandkonto einzahlen, von dem die guten Kliniken einen Bonus-Betrag erhalten. Bei der flächendeckenden Implementierung dieses Ansatzes sind jedoch noch rechtliche Probleme zu überwinden.