Klin Padiatr 2011; 223(4): 207-208
DOI: 10.1055/s-0031-1280767
Gastkommentar

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Infektiologische Herausforderungen in der Differenzialdiagnose der serösen Meningoenzephalitis im Kindesalter

Challenges in the Differential Diagnosis of Aseptic Meningo-Encephalitis in ChildrenJ.G. Liese
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Publikationsdatum:
04. Juli 2011 (online)

Die seröse Meningoenzephalitis im Kindesalter ist eine große diagnostische Herausforderung. Neben infektiologischen Ursachen kommen vor allem immunologisch vermittelte und vaskuläre Ursachen pathogenetisch in Frage. Eine kürzlich publizierte populationsbasierte Studie aus England in allen Altersgruppen zeigte, dass sich bei 42% der Enzephalitiden eine infektiologische Ursache nachweisen ließ. Am häufigsten wurden Herpes-simplex-Virus (19%), Mycobakterium tuberculosis (5%), Varizella-zoster-Virus (5%) sowie Enterovirus (1%). Unter den immunologisch vermittelten Enzephalitiden, die bei 21% der Enzephalitiden nachgewiesen werden konnten, waren die akute disseminierte Enzephalopathie (11%) und sowie die NMDA-Rezeptor Enzephalopathie (4%) am häufigsten.

Mit der Diagnostik zweier Enzephalitiserreger beschäftigen sich in dieser Ausgabe 2 Beiträge. Zum einen der Beitrag von C. Reinheimer et al. (S. 221–226) zur Enterovirusdiagnostik bei aseptischer Meningitis, zum anderen der Beitrag von P.M. Meyer-Sauteur (S. 209–213) aus der Universitätskinderklinik in Zürich, der anhand von 2 Kasuistiken und einer Literaturübersicht die diagnostischen und therapeutischen Schwierigkeiten bei der Mykoplasmen-assoziierten Meningoenzephalitis erörtert.

Die Studie von Reinheimer et al. zur Enterovirusdiagnostik stellte sich die Frage inwieweit die Untersuchung von Stuhl oder Liquor besser zur Diagnose einer Enterovirusenzephalitis geeignet ist. Außerdem wurden noch die Zellkulturmethode und PCR-Methode miteinander verglichen. Insgesamt konnten unabhängig von Material und Methode in 35% der eingesandten Proben von Patienten mit Verdacht auf Enterovirusenzephalitis ein Nachweis von Enteroviren geführt werden, bei 21% im Liquor sowie bei 14% im Stuhl. Hierdurch wird die Bedeutung dieser Erreger bei aseptischer Meningitis eindrucksvoll belegt. Die im Gegensatz zu anderen Studien, bei denen Enteroviren in 1–5% der Enzephalitisfälle identifiziert wurden, deutliche höhere Nachweisrate liegt am ehesten an der bereits durch den Untersucher gestellten Verdachtsdiagnose und vorherigen Ausschluss anderer Ursachen.

Es ist schwierig aus der vorliegenden Untersuchung konkrete Vorschläge für die diagnostische Praxis abzuleiten, da den Autoren keine parallelen Proben aus Stuhl und Liquor zu Diagnostik vorlagen und somit ein direkter Vergleich der Liquor- und Stuhldiagnostik bei dem insgesamt klinisch heterogenen Patientengut nicht möglich war. Eine solche Studie wäre jedoch erforderlich, um die Frage nach dem optimalen Material und der diagnostischen Methode zu beantworten. Interessanterweise konnten die Autoren zeigen, dass im Nachweis von Enteroviren im Liquor die Zellkultur der PCR überlegen ist, während bei der Stuhldiagnostik der Nachweis mittels beider Methoden nicht signifikant unterschiedlich war.

Insgesamt belegt die Studie die Wichtigkeit des Nachweises von Enteroviren bei aseptischer Meningoenzephalitis. Hierdurch kann die breite Differenzialdiagnose eingeschränkt werden, unnötige diagnostische und therapeutische Maßnahmen können vermieden werden und die Prognose, die bei Enteroviren in der Regel durch einen unkomplizierten Verlauf gekennzeichnet ist, kann besser gestellt werden. In der täglichen Praxis der Differenzialdiagnose einer aseptischen Meningoenzephalitis erscheint die Anwendung einer PCR-Untersuchung aus dem Stuhl und Liquor weiterhin die Methode der Wahl. Beim Nachweis aus Stuhlproben ist die verminderte Spezifität aufgrund der Möglichkeit einer Enterovirusdauerausscheidung mit zu berücksichtigen. In besonderen klinischen Situationen, z. B. bei Patienten mit Immundefekten und anderen chronischen Erkrankungen und unklaren Fällen, sollte eine optimale Sensitivität durch die zusätzliche Untersuchung des Liquors durch die Zellkulturmethode erzielt werden.

Eine weitere diagnostische Herausforderung ist der Nachweis einer Mykoplasmen-assoziierten Infektion des zentralen Nervensystems, die sich klinisch als aseptische Meningitis, Meningoenzephalitis, transverse Myelitis, Hirnnervenlähmung und zerebelläre Ataxie manifestieren kann. Da hier der Erregernachweis im Liquor in den meisten Fällen nicht gelingt, werden pathogenetisch sowohl infektiöse Mechanismen als auch immunologisch vermittelte, postinfektiöse Reaktionen diskutiert.

Wie in den beiden von P.M. Meyer-Sauteur et al. vorgestellten Fällen kann daher häufig nur eine Assoziation angenommen werden. Die Häufigkeit der Mykoplasmen-assoziierten Enzephalitis ist unklar. In größeren Enzephalitisstudien findet sich bei 1–6% der Patienten ein Hinweis auf eine akute Mycoplasma-pneumoniae-Infektion. Die Variation ist letztlich durch unterschiedliche Diagnosekriterien, sowie die jahreszeitlichen und jährlichen Schwankungen der Mykoplasmeninfektionen zu erklären.

Bei den vorgestellten Kindern war die seit einer Woche bestehende Atemwegsinfektion mit Husten vor Beginn der neurologischen Symptomatik richtungsweisend für die Durchführung der Mykoplasmendiagnostik. Der Direktnachweis mittels PCR aus dem Liquor gelang nicht, ein Rachenabstrich zum Nachweis der Mycoplasma-pneumoniae-Infektion wurde nicht durchgeführt. Die Verdachtsdiagnose wurde ausschließlich aufgrund der serologischen Antikörpernachweise gestellt. Wie von den Autoren diskutiert, kann hier lediglich ein unklarer bzw. möglicher Hinweis auf eine Mycoplasma-pneumoniae-Enzephalitis angenommen werden. Diese in der Praxis häufige Konstellation erfordert trotzdem die Durchführung einer Therapie, um mögliche Komplikationen und schwere Verläufe zu verhindern.

Makrolidantibiotika werden in der Pädiatrie als Standardantibiotika zur Behandlung von Mycoplasma-pneumoniae-Atemwegsinfektionen eingesetzt. Zur Behandlung von Meningoenzephalitiden sind Makrolide jedoch nur begrenzt sinnvoll, da sie keine ausreichende Liquorgängigkeit aufweisen. Für das bei den beiden Patienten verwendete hochdosierte Azithromycin wird in einer Studie eine ausreichende Liquor- und Hirngewebegängigkeit berichtet. Die sehr gut liquorgängigen Tetrazykline sind wegen möglicher bleibender Zahnschmelzveränderungen erst ab einem Alter von 9 Jahren einzusetzen. In einer kürzlich publizierten Studie wird der erfolgreiche Einsatz von Levofloxacin bei 5 Patienten mit Mykoplasmenenzephalitis beschrieben. Dies wäre eine interessante Alternative, weitere Studien sind hier jedoch noch erforderlich.

Die Autoren diskutieren als weitere Ursache für die ZNS-Manifestation ein post-infektiöses, inflammatorisches Geschehen, in den vorliegenden beiden Fällen kam es ohne erweiterte Therapie zu einer kompletten Ausheilung. Bei schweren Fällen sollte jedoch auch die Möglichkeit einer in Einzelfällen erfolgreichen immunmodulierenden Therapie mit intravenösen Immunglobulinen und/oder einer immunsuppressiven Therapie mit Steroiden in Betracht gezogen werden. Leider fehlen bisher randomisierte Studien, die hier in der klinischen Entscheidung zur Therapie weiterhelfen würden. Die Evidenz für die Diagnostik und Therapie der Mykoplasmen-assoziierten Meningoenzephalitis ist demnach gering, daher obliegt die Wahl zur Therapie einer individuellen Fall-zu-Fall Entscheidung aufgrund der klinischen Präsentation des Erkrankten. Es bleibt zu hoffen, dass die komplexe Diagnose und Therapie von Mykoplasmen-assoziierten Enzephalitiden durch multizentrische Studien in Zukunft verbessert werden kann.

Literatur

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