veterinär spiegel 2011; 21(03): 128
DOI: 10.1055/s-0031-1280202
Nutztiere & Pferde
Enke Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG Stuttgart

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N. N.
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Publication Date:
19 September 2011 (online)

Gasteditorial

Liebe Kollegin, lieber Kollege,

was ist eigentlich der Unterschied zwischen einem deutschen Nobelauto und einem edlen deutschen Warmblutpferd?

Also zuerst einmal gibt es da jede Menge Gemeinsamkeiten: Beide sind Spitzenprodukte, als Folge von Know-how und Wissenstransfer, der über viele Generationen weitergegeben und verbessert wurde und wird. Beide sind auch irgendwie Teil unserer Kultur oder zumindest typisch für Deutschland. Beide werden im Ausland begehrlich betrachtet und mit ihrem Herkunftsland assoziiert. Auch wenn wir an ihrer Herstellung und Produktion nicht direkt beteiligt sind, haben wir doch allen Grund, uns darüber zu freuen, dass zuverlässige Autos und edle, leistungsstarke Pferde In Deutschland produziert und gezüchtet werden. Der Erfolg von beiden ist jedoch auch abhängig von ihrer Vermarktung.

Und da liegt für mich der große Unterschied: Während es nachvollziehbar ist, dass ein Automobil aus Untertürkheim ohne Stern an der Kühlerhaube schlechter zu verkaufen ist als mit dem Statussymbol auf der Nase, ist das Pferd ein lebendes und leidendes Mitgeschöpf, für das wir alleine schon per Tierschutzgesetz Verantwortung zu tragen haben.

Obwohl uns seit Langem mit dem Transponder eine schonende Methode der fälschungssicheren Tierkennzeichnung zur Verfügung steht, besteht die Allianz der Warmblutzucht auf dieser archaischen und unnötig brutalen Kennzeichnungsmethode per Schenkelbrand. Das Brennen dient nicht nur der Kennzeichnung, sondern hat auch etwas mit Besitzanspruch, mit dem alttestamentarischen „untertan machen“ zu tun. Man brannte Tiere und Menschen, um zu demonstrieren, wem sie gehören. Dreist ist die Argumentation der unheiligen Allianz, dass die Tiere dabei nicht erhebliche Schmerzen zu erdulden hätten. Abgesehen vom Analogieschluss – und ich würde gerne mal einen der verantwortlichen Herren im Bundestag oder in der FN dabei beobachten, wie er nach einem Brand auf seiner Hinterbacke an seinem Schreibtisch Platz nimmt – belegen sämtliche Studien die selbstverständliche Tatsache, dass der Brand eine hochgradig schmerzhafte Angelegenheit ist. Jeder, der schon einmal beim Brennen anwesend war, weiß die Schmerzreaktionen der jungen Pferde wohl zu interpretieren.

Vordergründig wird behauptet, dass der Brand zur Identifizierung notwendig sei. In Wahrheit ist die Brandwunde auf dem Hinterschenkel nicht anderes als der Stern auf der Kühlerhaube: prestigeträchtiges Symbol eines teuren Spitzenprodukts, das nur mit Brand seinem Besitzer einen Mehrwert garantiert. Und dieser Mehrwert wird von eifrigen Lobbyisten durchgesetzt, koste es, was es wolle.

Es ist doch immer wieder dasselbe: Die Mehrzahl der Tierschutzverstöße wird nicht von einzelnen Personen begangen, die ihnen anvertraute Tiere schlecht versorgen, überfordern oder quälen. Die Mehrzahl der Tierquälereien wird offiziell und bei Tageslicht auf dem Altar des Profits begangen, im Rahmen der industriellen Tierproduktion – von Kaninchen- und Putenmast bis hin zu den Hintertürchen, die das Schächtverbot bietet, oder eben auch in der Pferdezucht.

Dreist war auch die Durchführung des öffentlichen „Schaubrennens“, das die Öffentlichkeit von der Harmlosigkeit der Methode überzeugen sollte – vielleicht mit „pharmakologischer Unterstützung“? Obwohl von der zuständigen Behörde ausdrücklich verboten, wurde es dennoch durchgeführt – mit wohlwollender Zustimmung durch Parlamentarier, die sich nicht zu schade waren, den Wünschen der Schenkelbrandlobby Vorschub zu leisten. Man darf gespannt sein, ob die Verantwortlichen hier mit nennenswerten Konsequenzen zu rechnen haben.

Die breite Öffentlichkeit hat mit Recht kein Verständnis für eine invasive tierquälerische Maßnahme, für die seit Langen nicht schmerzhafte Alternativen zur Verfügung stehen.

Dass wir Tierärzte uns empört gegen den Schenkelbrand aussprechen, ist verantwortungsvoll und folgerichtig, wenn wir unserem Anspruch als berufene Tierschützer gerecht werden wollen. Es bleibt abzuwarten, wie sich in der nächsten Zeit die zuständige Ministerin verhalten wird. Und unabhängig davon, nicht alles, was per Gesetz toleriert wird, muss folgerichtig auch ethisch wünschenswert sein.

Wir Tierärztinnen und Tierärzte genießen in der Öffentlichkeit eine große Reputation. Machen wir doch auf breiter Ebene unseren Einfluss geltend, indem wir den Schenkelbrand immer wieder thematisieren und auch politische Entscheidungsträger in unserem persönlichen Umfeld ansprechen und sensibilisieren. Nur steter Tropfen höhlt den Stein – auch bei der gesetzlichen Grundlage des Schenkelbrands.

Mit freundlichen Grüßen

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aus der Zeitschrift KLEINTIERMEDIZIN, Ausgabe Mai/Juni 2011; © Terra Verlag GmbH, Neuhauser Straße 21, 78464 Konstanz


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