Suchttherapie 2011; 12(2): 85-86
DOI: 10.1055/s-0031-1279921
Interview

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York

"Wir sind immer schon in Netze eingebunden gewesen"

"We Have Always Been Integrated in Nets"
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Publication Date:
16 May 2011 (online)

? Häufig wird diskutiert, ob die Nutzung der Web 2.0 Angebote eine Möglichkeit darstellt, Vergemeinschaftung zu erleben oder aber die potentielle Gefahr von Isolation birgt. Was glauben Sie, welcher Anteil überwiegt?

Das ist sehr schwer zu sagen. Wir haben in ganz vielen Medien, die öffentlich wirksam sind, eine duale Entwicklungstendenz von Vergemeinschaftungselementen und Individualisierungselementen. Nun kann man sagen, dass bei denjenigen, die die Individualisierungsmöglichkeiten ad extenso führen, dies mit Vereinsamungstendenzen einhergehen kann. Ich wüsste nur nicht, ob man das ursächlich sagen kann. Die entsprechenden Personen können ja vorher einsam sein und nutzen dann das Medium, um in ihrer Einsamkeit nicht mit sich allein zu sein. Andererseits haben wir eine Grundtendenz der Vergemeinschaftung. In dem Moment, wo ich mich einlogge, bin ich potentiell verbunden mit ganz vielen anderen Personen.

Und ich kann das wunderbar alleine machen in meinem Zimmer zu Hause. Ich kann mich da aus meiner Familie, meinem Freundeskreis ausklinken und zwar gerade dadurch, dass ich mich auf anderen Ebenen wieder einlogge. Das ist ja so eine Tendenz, die Sie bei ganz vielen jugendlichen Internetnutzern beobachten: die pflegen den Kontakt zur Peer-Group über das Netz und zwar permanent. Dann sitzen sie alleine, gucken Fernsehen, machen Hausaufgaben und sind noch bei Facebook. Sie werden von ihrer Familie als ein Hausgespenst wahrgenommen, das ab und an durch die Gänge huscht, um sich aus dem Kühlschrank etwas zu essen zu holen. De facto sind die aber die ganze Zeit verbunden mit ihren Freunden. Das, glaube ich, ist ein nicht pathologischer Fall.

? Glauben Sie, dass die Vernachlässigung von Beziehungen in den sozialen Netzwerken oder auch in den Gilden von Onlinegamern durch die anderen Teilnehmer stärker sanktioniert wird als im realen Umfeld?

Wenn ich im Fußballverein bin, in der Regionalliga spiele und ich komme ein paar Wochen nicht zum Training, dann werde ich mit Sicherheit nicht aufgestellt für ein entscheidendes Spiel. Das wird sozial sanktioniert. Wenn ich mich in einem Spiel in einer Gilde hocharbeite und dann eine Rolle übernehme und die dann nicht erfülle, dann habe ich die Rolle auch nicht lange. Wenn man das in Relation setzt, wird es wahrscheinlich aufs Ähnliche hinauslaufen. Empirisch beschreiben können wir, dass da im Internet die Sanktionierungen viel schneller passieren. Mit Freundschaften ist das genauso: Natürlich habe ich ein Problem, wenn meine Peer-Group darauf aus ist, dass ich mich regelmäßig in soziale Interaktionen begebe und ich mache das nicht. Das ist im Netz, glaube ich, nicht anders als in der analogen Welt.

? Und dann bestünde auch keine Gefahr oder jedenfalls keine größere Gefahr als bei der analogen Welt, dass die Pflege dieser Beziehung von einer Art Freiwilligkeit in einen erzwungenen Charakter wechselt?

Es besteht in meinen Augen keine größere Gefahr als in anderen sozialen Kontexten auch. Freundschaften müssen gepflegt sein. Das ist im digitalen Kontext schlicht und ergreifend genauso. Und dann kommen diese Taktungen, also diese Geschwindigkeiten, in denen man sich da bewegen muss, und die können natürlich immer das Gefühl erzeugen, dass man unter Druck steht. Ich glaube, das ist im Sozialen aber normal.

? Können Sie sich überhaupt mediumbezogene oder mediumimmanente Faktoren vorstellen, die zu einer unkontrollierten exzessiven Internetnutzung führen könnten?

Seitdem ich ein iPhone habe, ist das Internet immer da. Und wenn es irgendwas gibt, worauf ich warte, was vielleicht karrieretechnisch oder nur problembezogen relevant sein könnte, dann schalte ich das auch am Wochenende oder auch abends immer mal wieder ein. Und das erzeugt schon Gefühle von Zwanghaftigkeit. Ich glaube, wir haben eine mediale Umgebung, in der wir uns erst bewähren müssen. Wir müssen gucken, sind wir sozialpsychologisch emotional stark genug, um uns in dieses Eingebunden-, in dieses Verflochtensein, in diese Netze so reinzugehen, wie wir das sonst auch machen. Wir sind immer schon in Netze eingebunden gewesen. Nur viele dieser Netze hören auf, wenn ich die Haustür zumache. Die sind jetzt nicht mehr so einfach weg. Und das muss zum Teil erst erlernt werden.

? Es wurden für verschiedene Länder Prävalenzen für Internet abhängigkeit erhoben. Diese schwanken extrem, zwischen 3 % der Internetnutzer in Deutschland und beispielsweise 18 % der Nutzer in Südkorea. Wie erklären Sie sich das?

Korea ist ein sehr gutes Beispiel, weil wir dort ja schon lange beobachten, dass die Durchdringung gerade mit mobilen Endgeräten ein Ausmaß hat, was wir uns hier nicht vorstellen können. Wenn Gesellschaften ihre sozialen Interaktionen so stark an bestimmte Formen von Soft- und Hardware knüpfen, dann finde ich das nur völlig plausibel, dass sich die pathologischen Entwicklungen, die man in der Bevölkerung wahrnimmt, auch im Umgang mit solchen Geräten finden lassen.

Ich finde es völlig normal, dass man bei einer Spezies wie unserer, bei der Suchtgefahren auf ganz vielen unterschiedlichen Ebenen offensichtlich einfach gegeben sind, diese auch im Umgang mit medialen Aktionen und Interaktionen findet. Eine Zahl wie drei Prozent empfinde ich relativ beruhigend.

? Wie kann man Computerspielsucht oder Medienabhängigkeit überhaupt messen? Über Nutzungszeiten, über Inhalte? Momentan wird dies mit klassischen Suchtdiagnostikinstrumenten versucht. Darin finden sich Kriterien wie z.B. ständige gedankliche Beschäftigung, auch wenn man nicht im Netz ist, Entzugserscheinungen, also z.B. dass man niedergeschlagen und nervös ist, wenn man nicht online sein kann...

Wenn es stimmt, dass wir tatsächlich Teile der für uns essentiellen sozialen Interaktion und Kommunikationsform im Netz vollziehen, dann ist es gar nicht anders denkbar, als dass wir immer irgendwie auch ans Netz denken. Ich meine, ich würde ja nicht eine Gefahr, eine pathologische Verzerrtheit meiner psychologischen Verfassung mir selber diagnostizieren, wenn ich immer irgendwie auch daran denke, dass ich heute noch mit Anderen reden muss. Ich finde das ganz normal. Und wenn das mit dem Netz auch so normal wird, dann wäre z. B. die gedankliche Beschäftigung ein schlechtes Kriterium.

? In der Öffentlichkeit wird die Internetnutzung häufig entweder beschönigt oder sie wird verteufelt. Warum wird immer so an dieser pauschalen Unterscheidung festgehalten?

Neu auftretende mediale Umgebungen wurden immer schon von denjenigen, die sich einen hohen Nutzen davon versprechen, euphemistisch beschrieben. Und es gibt immer zu Beginn einer neuen medialen Entwicklung Ängste. Zum Teil zu Recht, weil es Umverteilungen gibt. Mit dem Internet haben wir nun ein unglaublich umfassendes technisches Dispositiv, was ganz viele verschiedene Medien ausbildet und was in der Art und Weise, wie es sich entwickelt, noch längst nicht abgeschlossen und dessen Weiterentwicklung auch nicht absehbar ist. Dass da auch Ängste vorhanden sind, ist klar. Deswegen verstehe ich die große Kritik. Genauso wie ich auch den Euphemismus nachvollziehen kann. Es wird sich wahrscheinlich in dem Moment, wo das Internet zum pragmatischen Alltagsbegleiter geworden ist, eines Tages irgendwo in der Mitte einpendeln. Obwohl wir beispielsweise beim Fernsehen die Diskussion bis heute haben.

? Haben Sie sich schon mal gefragt ob Sie zu häufig online sind?

Ja, das habe ich mich gefragt und bin auch zu dem Schluss gekommen, dass es so ist.

Ich glaube zwar nicht, dass das tatsächlich pathologisch ist. Aber ich glaube, dass das Dimensionen hat bzw. dass es Situationen gibt, in denen meine Nutzung des Internets nicht sozial optimal kompatibel ist.

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