Zeitschrift für Phytotherapie 2011; 32(2): 51
DOI: 10.1055/s-0031-1279686
Editorial

© Haug Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG

Was darf Phytotherapie kosten?

Volker Schulz
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Publication Date:
06 May 2011 (online)

Die Kosten im Gesundheitswesen berühren uns allgegenwärtig. Die Ausgaben laufen davon. Die Kassenbeiträge folgen auf dem Fuße. Vor allem Letzteres zwingt die Politiker zum Handeln. Mehr Wettbewerb soll es regeln. Bevorzugter Hebelpunkt waren dabei immer schon die verordnenden Kassenärzte, die schließlich auch alle dem Wirtschaftlichkeitsgebot gemäß dem Sozialgesetzbuch V unterliegen. Wollte man vor diesem Hintergrund dem Gesundheits-Modernisierungs-Gesetz (GMG) vom April 2004 nachträglich noch eine positive Seite abgewinnen, dann vielleicht die, dass seither die Phytotherapie ihren Schwerpunkt in einem Raum jenseits unmittelbarer politischer Einflussnahme hat, nämlich innerhalb der vom Anwender direkt finanzierten Selbstmedikation.

Die damit verknüpfte Rechnung geht allerdings nicht ganz auf. Nach allgemeiner Erfahrung wird nämlich jeder Euro für die Gesundheit »nur einmal« ausgegeben. Was heißt: Steigt der Eigenanteil des Patienten bei der Verordnung, bleibt weniger für die Selbstmedikation übrig. In Konsequenz daraus gilt es für die Phytotherapie einerseits, den Rest an ärztlicher Verordnung zu erhalten und vielleicht sogar mit dem Kostenargument gegenüber den Krankenkassen wieder auszubauen. Gleichzeitig müssen sich pflanzliche und synthetische Arzneimittel in gleicher Indikation im verschärften Preiswettbewerb messen.

Welche Euro-Beträge angemessen sind, ergibt sich damit auch aus dem Preisniveau der jeweiligen »schulmedizinischen« Behandlungsalternative. Die pflanzlichen Sedativa, denen dieses Schwerpunktheft der ZPT gewidmet ist, stehen vor allem im Wettbewerb mit Arzneien aus der Stoffgruppe der Benzodiazepine. Legt man unter Berufung auf den ArzneiverordnungsReport 2010 als Bezugsstandard mittlere Kosten für die definierte Tagesdosis (DDD) kurz- und langwirksamer Benzodiazepine von 0,69 € zugrunde, so sieht der Vergleich z. B. für die Baldrianwurzel-Extrakte gar nicht so schlecht aus. In typischer Dosierung von etwa 600 mg/d kosten die Präparate nur zwischen 40 und 80% des schulmedizinischen Bezugsstandards. Ähnlich günstige Preisverhältnisse lassen sich auch für einige bekannte Baldrian-Hopfen-Kombinationen errechnen.

Ein kürzlich dank aktueller klinischer Studien (siehe dazu Übersichtsbeitrag S. 60) zugelassenes orales Lavendelöl-Präparat liegt immerhin noch um gut 20% unter den mittleren Kosten der Benzodiazepin-DDD. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, lässt sich aus den 3 vorgenannten Mustern aber noch keine Regel zugunsten der Phytotherapie ableiten. Präparate mit Passionsblumenkraut-Extrakt als Wirkstoff kosten z.B. in zugelassener Dosierung zwischen 100 und 180% der Benzodiazepin-DDD. Zur Einschätzung der Rohstoffkosten von Passiflorae herba ist dazu in Hagers Enzyklopädie der Arzneistoffe und Drogen nachzulesen: »Bei der Ernte werden 10–15 cm über der Erde die blühenden Triebe abgeschnitten ... diese können bis zu 10 m lang werden.« So hoch wächst der Hopfen zwar auch. Allerdings werden bei diesem nicht die meterlangen Ranken, sondern nur die Fruchtstände als Droge verwendet!

Die Orientierung am spezifischen Preisniveau der schulmedizinischen Behandlungsalternative kann bei bestimmten Indikationen durchaus auch die Kasse bei den pflanzlichen Mitteln klingeln lassen. Bei den Antidementiva gelten gegenwärtig die Acetylcholinersterase-Hemmer und das Memantin als Standard. Dafür errechnet sich hier ein mittlerer Bezugspreis von 4,30 €/d. Verglichen damit betragen die ebenfalls als Stoffgruppen-DDD vorliegenden Kosten der Behandlung mit Ginkgo-Extrakt (S. 78) mit immerhin noch 1,10 €/d nur etwa ein Viertel.

Der Preisbezug auf indikationsgleiche »Schulmedizin « darf dennoch für die Phytotherapie nur ein Aspekt sein. Es kann nicht übersehen werden, dass bei den Anwendungsgebieten, um die es hier geht, die Arzneimittel selbst nur ein Teil des Aufwandes sind. Nach alter Regel bedarf »die Pflanze« zur Entfaltung ihrer vollen Wirksamkeit beim Patienten der Ergänzung durch »das Wort«. Im Verordnungsbereich könnte die in diesem Sinne verbundene »Droge Arzt« gelegentlich sogar die teurere Komponente sein.

Arzneimittel, die vorwiegend in entsprechenden Indikationen eingesetzt werden, sollten deshalb in Zukunft preislich so kalkuliert werden, dass für verknüpfte verbale Leistungen noch wirtschaftliche Spielräume entstehen. Ein Sparhebel könnte bei der Herstellung der Pflanzenextrakte angesetzt werden. Überteuerte Drogen und kostentreibende phytochemische Spezifikationen gilt es hier zu überprüfen resp. zu überdenken.

Volker Schulz

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