ZWR - Das Deutsche Zahnärzteblatt 2011; 120(4): 192-193
DOI: 10.1055/s-0031-1277633
Colloquium

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Interview mit Prof. Kunzelmann – Selbstlimitierende Kariesexkavation

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Publication Date:
02 May 2011 (online)

 

Komet stellte auf der IDS einen Rosenbohrer aus Polymer vor, dessen Härte geringer als gesundes und höher als kariös verändertes, nicht erhaltungsfähiges Dentin ist. Gemeinsam mit Prof. Karl-Heinz Kunzelmann, Ludwig-Maximilians-Universität München, entwickelt, soll das Einweginstrument PolyBur P1 helfen, den Begriff "Karies exkaviert" unter minimal-invasiven Ansprüchen besser in die Praxis umzusetzen.

Prof. K.-H. Kunzelmann

? Mit dem neuen PolyBur stellen Sie sich ganz bewusst der Problematik, die Zahnärzte bei der Kariesexkavation haben: Wie weit muss man exkavieren?

Prof. Kunzelmann: Bis heute gibt es kein objektives Kriterium, wie weit man exkavieren muss, bevor man einen kariösen Defekt mit einer passenden Restauration versorgen kann. Der Trend unter uns Kariesforschern geht eindeutig hin zu mehr Substanzschonung. Von den zahlreichen möglichen Ansätzen, wie z. B. Enzymlösungen, Carisolv, drehmomentlimitierte Bohrer, FACE etc. ist der PolyBur derzeit die beste Lösung für die Praxis. Er entfernt etwas mehr Substanz als Enzyme, ist aber deutlich schonender als herkömmliche Rosenbohrer. Der wichtigste Aspekt ist, dass der PolyBur aufgrund seiner Härte selbstlimitierend arbeitet und es somit nicht von der Erfahrung oder bewussten Entscheidung des Zahnarztes alleine abhängt, wie viel Dentin entfernt wird.

? Sie plädieren dafür, dass die Grenze infected/affected Layer, wie sie Fusayama bereits 1979 beschrieben hat, so nicht existiert. Welche Sichtweise vertreten Sie?

Prof. Kunzelmann: Die klare Einteilung in definierte Schichten der Karies ist heute in dieser Form nicht mehr haltbar, schließlich handelt es sich um nicht abgrenzbare Diffusionsprozesse. Viel passender sollte man von Gradienten sprechen, also von einer allmählich abnehmenden Bakteriendichte von der Läsion weg in Richtung unverändertes Dentin, und damit von einem zunehmenden Grad an Mineralisation und Härte. An dieser Härte orientiert sich der PolyBur.

? Die Idee vom selbstlimitierenden Bohrer aus Kunststoff ist per se nicht neu - Wie unterscheidet sich der PolyBur von der SmartBurs-Konkurrenz?

Prof. Kunzelmann: Ursprünglich war die Idee, einen Polymerbohrer zu verwenden, von Dr. Daniel Boston, Temple University USA, geboren. Der Begriff "self-limiting" oder "selbstlimitierend" stammt von mir und wird nicht nur für Polymerinstrumente verwendet. Herr Dr. Boston entwickelte ein Instrument, dessen Schneiden sich verformen sollten, sobald sie auf gesundes Dentin treffen. Der 1. Versuch der Firma SS White Burs, der SmartPrep, besitzt ein Polymerarbeitsteil auf Metallschaft - eine Zweistückkonstruktion. 2010 wurde die 2. Generation aus Vollkunststoff, der SmartBurs II, auf den Markt gebracht. SmartBurs II hat eine ähnliche Schneidengeometrie wie der Vorgänger, ist aber etwas härter. Der PolyBur von Komet unterscheidet sich vom SmartBurs II durch die Schneidengeometrie, die bei dem Komet-Instrument an einen Rosenbohrer angelehnt ist. Beim PolyBur ist außerdem der Hals wesentlich schlanker gefertigt, wodurch sich das Instrument auch für Mikrokavitäten eignet. Der wohl größte Unterschied ist jedoch die Andruckkontrolle durch den elastischen Hals, was besonders bei der kleinen Größe 014 zum Tragen kommt.

Pulpanahes Arbeiten mit dem PolyBur P1:
Weiches Dentin wird entfernt, erhaltungswürdiges Dentin wird geschont.

? Wo sehen Sie die klassische Indikation, wo die Kontraindikationen für den neuen Bohrer?

Prof. Kunzelmann: Der PolyBur soll den herkömmlichen Rosenbohrer nicht ersetzen, sondern ergänzen. Das heißt: Der Zugang zur Kavität wird wie gewohnt mit rotierenden oder oszillierenden Instrumenten hergestellt. In den peripheren Anteilen der Kavität kann Dentin mit herkömmlichen Rosenbohrern entfernt werden. Wenn sich der Puls des Behandlers dann "beim Gedanken an eine Eröffnung des Nervs beschleunigt", ist der Griff zum PolyBur richtig. Seine klassische Indikation lautet: die weiche, pulpanahe Karies bei klinisch symptomlosen Milch- und bleibenden Zähnen. Dunkel verfärbtes Dentin, hartes remineralisierbares Dentin oder Karies entlang der Schmelz-Dentin-Grenze hingegen sind typische Kontraindikationen für den Polymerbohrer. Hier kann man von ihm keinen nennenswerten Materialabtrag erwarten und es muss mit konventionellen Instrumenten exkaviert werden.

? Auf wie viel Ungewohntes wird sich der Zahnarzt bei der ersten Exkavation mit dem PolyBur einstellen?

Prof. Kunzelmann: Bei den ersten Versuchen kann es sein, dass mehr als ein Instrument erforderlich ist, bis man sich sicher fühlt, ob genug Dentin abgetragen wurde. Mit etwas Routine reicht dann in der Regel ein Instrument pro Kavität aus. Die Besonderheiten betreffen nicht so sehr die Anwendung selbst. Gewöhnungsbedürftig wird eher die Bewertung des Ergebnisses sein. Die Dentinoberfläche wird nicht so hart sein, dass die Sonde klirrt. Die Endhärte ist ca. 60 % der Härte von kariesfreiem Dentin. Es kann auch vorkommen, dass die Oberfläche nicht so glatt erscheint, wie beim Exkavieren mit Stahlinstrumenten. Das ist nicht weiter problematisch, solange die Kavitätenränder sauber sind und einen dichten Verschluss mit Adhäsivrestaurationen ermöglichen. Nach "total etch" oder nach Anwendung eines selbstätzenden Dentinadhäsivs unterscheidet sich die Oberfläche nicht mehr von einer klassischen Exkavation. Ohne Adhäsivtechnik würde ich den PolyBur im Moment jedoch nicht anwenden.

Die Effizienz des neuen Bohrers kann übrigens durch die Kombination mit Carisolv (Fa. MediTeam) gesteigert werden kann. Der Grund: Das Natriumhypochlorit löst denaturiertes Kollagen auf und erleichtert so den Materialabtrag. Gleichzeitig desinfiziert Carisolv die Kavität.

? Worauf ist denn bei den anschließenden Kontrollen zu achten?

Prof. Kunzelmann: Wie bereits erwähnt, wird die Dentinoberfläche nach dem Exkavieren mit dem neuen Bohrer nicht so hart sein, wie es der Zahnarzt gewohnt ist. Es kann daher keine klassische Kontrolle mit der Sonde durchgeführt werden. Beachten Sie aber bitte, dass der Einsatz des PolyBur für die pulpanahen Kavitätenanteile empfohlen wird. Die Kavitätenränder und der Bereich der Schmelz-Dentin-Grenze sollten weiter klassisch bearbeitet werden, sodass auch die üblichen Kontrollkriterien weiter gelten.

Gewöhnungsbedürftig ist möglicherweise auch die Röntgenkontrolle nach Einsatz des Bohrers: Die partielle Demineralisation bewirkt, dass weniger Röntgenstrahlen absorbiert werden. Die fertige Füllung kann daher auf dem Röntgenbild einen dünnen ca. 0,5-0,7 mm, röntgendurchlässigen Anteil in Richtung Pulpa aufweisen. Es sieht aus, als würde ein Kariesrezidiv vorliegen - dabei ist es der Beleg dafür, dass die selbstlimitierende Arbeitsweise des Instruments funktioniert hat! Das dürfte kein Problem sein, solange der Patient vom PolyBur-Anwender betreut wird.

? Fassen wir zusammen: Warum soll der Zahnarzt den P1 einsetzen?

Prof. Kunzelmann: Der Einsatz selbstlimitierender Exkavationstechniken kann den entscheidenden Unterschied zwischen einer reinen Füllungstherapie und einer zusätzlichen endodontischen Behandlung ausmachen. Nach wie vor ist die eigene Pulpa die beste "Wurzelbehandlung". Der Aufwand für die Anwendung des PolyBur ist sehr gering, der Gewinn für den Patienten enorm. Natürlich kann es sein, dass auch bei Anwendung des neuen Bohrers der Nerv eröffnet wird. Dann war es aber aufgrund der geringen Härte des Instruments nicht zu vermeiden. Auch diese Gewissheit sollte schon ein gutes Argument für den PolyBur darstellen.

! Vielen Dank für das Gespräch, Herr Prof. Kunzelmann.

Das Interview führte Dorothee Holsten für die ZWR.

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