Fragestellung: Die Beeinträchtigung neurokognitiver Leistungen bei Kindern und Jugendlichen mit
Diabetes mellitus Typ 1 (DM1) durch Hypoglykämien, insbesondere schwere Hypoglykämien
ist seit längerem bekannt. Neuere Erkenntnisse weisen darauf hin, dass auch die chronische
Hyperglykämie bei Diabetes mellitus zu Veränderungen der neurokognitiven Leistungen
führen. Wir untersuchten Kinder und Jugendliche mit DM1 hinsichtlich Ihrer neurokognitiven
Fähigkeiten und korrelierten diese mit strukturellen zerebralen Veränderungen sowie
mit der metabolischen Einstellung (HbA1c).
Methodik: An 30 Kindern und Jugendlichen mit DM1 (mittleres Alter 14,3/SD±3,9a) und 19 gesunden
Kontrollkindern (mittleres Alter 13,0/SD 3,2a) wurden PC-gesteuerte Testverfahren
zur Erfassung (prä)frontaler (Arbeitsgedächtnis/Aufmerksamkeit, kognitive Flexibilität)
und temporaler (Merkfähigkeit) Funktionsbereiche und ein zerebrales strukturelles
MRI (Voxel-basierte Morphometrie und Diffusionstensor-Imaging) zur Untersuchung der
neurofunktionalen Integrität von fronto-parietalen Hirnarealen durchgeführt. Je nach
mittlerem HbA1c wurden die Patienten mit DM1 in zwei Gruppen eingeteilt (Gruppe 1,
HbA1c ≤7,9%, n=15, mittleres Alter 14,7/SD 4,1 a und Gruppe 2, HbA1c ≥8,0%, n=15,
mittleres Alter 13,9/SD 3,9a) und untereinander sowie mit der gesunden Kontrollgruppe
(gematcht nach Alter, geschätzter intellektueller Leistungsfähigkeit, Geschlecht und
Händigkeit) verglichen.
Ergebnisse: In Bezug auf die behavioralen Daten zeigten die Ergebnisse signifikante Gruppenunterschiede
bezüglich der Bearbeitungsgenauigkeit bei einer Marker-Aufgabe zur Erfassung des räumlichen
Arbeitsgedächtnisses (Spatial working memory/SWM; Subtest der PC-gestützten Testbatterie
CANTAB). Die Gruppenunterschiede waren unabhängig von Alter und Bearbeitungsgeschwindigkeit.
Signifikante Gruppenunterschiede waren auch hinsichtlich der strukturellen Bildgebung
beobachtbar: die Kontrollgruppe wies ein höheres Totalvolumen der grauen und weißen
Hirnsubstanz auf (graue Substanz: linkes anteriores Cingulum und linker Cuneus; weiße
Substanz: bilateralem Uncus sowie rechter mittlerer temporaler Gyrus und linker mittlerer
okzipitaler Gyrus). 56% der neurokognitiven Leistungsvarianz waren durch Erkrankungsdauer,
Alter bei Diagnose und Volumen der weißen Hirnsubstanz im Uncus erklärbar.
Schlussfolgerungen: Diese Daten verbinden neurokognitive Testuntersuchungen mit strukturellen cerebralen
Veränderungen und stärken die Hypothese, dass chronische Hyperglykämie bei Kindern
und Jugendlichen mit Diabetes mit neurokognitiven Dysfunktionen und strukturellen
zerebralen Veränderungen korreliert. Dabei scheinen vor allem mediale Strukturen im
Temporallappen (Uncus) eine wichtige Rolle bei der Prädiktion der neurokognitiven
Leistungsvarianz zu spielen.