Anamnese: Eine 52-jährige sehr schlanke Patientin klagt über seit Jahren langsam zunehmender
Schwäche, belastungsabhängige Luftnot sowie Appetitlosigkeit, Erbrechen und fehlende
Gewichtszunahme. Bei der Erhebung der gynäkologischen Anamnese fiel eine frühe Menopause
mit 39 Jahren nach der zweiten Geburt auf, die per Sectio 1989 erfolgte und mit massivem
Blutverlust und Intensivtherapie. Konnte nicht Stillen. Seit 2009 wegen Schwäche häufig
geweint. Hausärztin äußerte Verdacht auf Depression. Zeitnaher Termin beim Psychiater
war nicht möglich. Wegen niedriger Blutglukose Vorstellung in einer Diabetesambulanz.
Die Patientin nimmt keine Medikamente ein.
Klinischer Befund: sehr schlanke Patientin, reduzierter Ernährungszustand (BMI 20,4), kühle, blasse,
trockene Haut, grobe Schuppung am Rücken, Gesicht pastös, Augen verquollen, komplettes
Fehlen der Achsel- und Schambehaarung, Schilddrüse nicht tastbar, Puls 55/min, RR
103/83mmHg, Herz, Lunge und Abdomen unauffällig.
Im Schildendrüsensonogramm sehr kleines Organ (1,7ml) mit echoreichem, gering inhomogenem
Parenchym ohne Knoten. Osteodensitometrie: Normalbefund.
Diagnose und Einschätzung: Bereits durch die charakteristischen Beschwerden und typischen klinischen Zeichen
des Hypogonadimus (fehlende sekundäre Behaarung, sekundäre Amenorrhoe nach komplizierter
Geburt, sehr frühe Menopause), der Hypothyreose (Hypotonie und Bradykardie, blasse,
trockene, schuppende Haut) und der Nebenniereninsuffizienz (Hypotonie, Schwäche, Hypoglykämie)
konnte die Verdachtsdiagnose einer Hypophysenvorderlappeninsuffizienz (Sheehan-Syndrom) gestellt werden.
Labor: Hypoglykämie (Blutglukose: 3,2mmol/l), Anämie, Hyponatriämie, leichte Kreatinerhöhung,
nicht messbares Cortisol mit niedrig normalem ACTH, nicht messbares freies T4 mit
TSH im oberen Normbereich, Estradiol unterhalb des Messbereiches mit erniedrigtem
LH und FSH, Wachstumshormon und Prolaktin erniedrigt. Im ACTH-Test konnte das Serumcortisol
nicht ausreichend stimuliert werden. Schilddrüsen- oder Nebennierenantikörper sind
nicht nachweisbar.
Therapie: Zwanzig Jahre nach der primären Schädigung bei einer schweren Geburt wurde anhand
von Anamnese und klinischem Befund die Diagnose Sheehan-Syndrom gestellt. Unter Substitution
von 15mg Hydrodcortison und L-Thyroxin beginnend mit 12 normalisierte sich die Leistungsfähigkeit
der Patientin innerhalb weniger Tage (fühlt sich „super„, kann erstmals mehrere Etagen
Treppen ohne Beschwerden steigen), Appetit und Gewicht nahmen zu, Übelkeit und Erbrechen
verschwanden, die Stimmung normalisierte sich ohne antidepressive Therapie, das Serumkreatinin
normalisierte sich. Die Patientin erhielt einen Cortisol-Notfallpass und führt die
Therapie derzeit mit der Standarddosierung von 15mg Hydrocortison (10mg morgens und
5mg gegen 14 Uhr) sowie 50µg L-Thyroxin täglich fort. Ein Estrogenersatz wurde wegen
fehlender Osteoporose nicht eingeleitet.