Diabetologie und Stoffwechsel 2011; 6 - P150
DOI: 10.1055/s-0031-1277421

Bedeutung klinischer Faktoren und CYP2C9-Polymorphismen für das Risiko schwerer Sulfonylharnstoff-Hypoglykämien

A Holstein 1, M Hahn 1, O Patzer 1, A Seeringer 2, J Stingl 2, P Kovacs 3
  • 1Klinikum Lippe-Detmold, Medizinische Klinik I, Detmold, Germany
  • 2Institut für Naturheilkunde und Klinische Pharmakologie, Universität Ulm, Ulm, Germany
  • 3Interdisziplinäres Zentrum für Klinische Forschung, Universität Leipzig, Leipzig, Germany

Fragestellung: Die etablierten Risikofaktoren für schwere Sulfonylharnstoff-Hypoglykämien (SH) umfassen hohes Lebensalter, lange Diabetesdauer, Multimorbidität, Polypharmazie sowie einen niedrigen HbA1c-Wert. Da Sulfonylharnstoffe (SU) über das genetisch polymorphe hepatische CYP-System metabolisiert werden, könnten auch pharmakogenetische Faktoren bedeutsam sein. Wir prüften die Hypothese, ob die sog. Slow-Metabolizer-Genotypen *2/*2, *2/*3 und *3/*3 bei Typ-2-Diabetikern mit SH überrepräsentiert sind.

Methoden: In einer prospektiven populationsbasierten Fallkontrollstudie wurden die CYP2C9-Allelvarianten von 102 Patienten mit SH (initiale Blutglukose 31,8±10,4mg/dl; HbA1c 6,5±1,2%; Alter 77,4±9,2 Jahre; Diabetesdauer 11±10 Jahre; Kreatinin-Clearance 45±23ml/min; Komedikation 7±3 Präparate) mit einer gematchten Kontrollgruppe von 101 SU-behandelten Diabetikern ohne SH verglichen. Sämtliche 203 Patienten hatten die SU Glimepirid, Glibenclamid oder Gliquidon erhalten. SH waren durch eine neuroglukopenische Symptomatik, eine initiale Blutglukose von <50mg/dl und die Notwendigkeit der i.v. Glukose-Gabe definiert. Als weitere genotypisierten Kontrollgruppen dienten 337 Typ-2-Diabetiker, die orale Antidiabetika erhielten, sowie 1988 Nicht-Diabetiker.

Ergebnisse: In der univariaten Analyse ergab sich lediglich ein niedriger HbA1c-Wert (p=0,0004) als Risikofaktor für SH. Die CYP2C9 *2/*2-, *2/*3- und *3/*3- Varianten bei Patienten mit SH (2%) waren gegenüber allen Kontrollgruppen ohne SH (3,4–5%) nicht überrepräsentiert. Dennoch waren die Patienten mit Slow-Metabolizer-Genotypen in der Kontrollgruppe mit einer signifikant niedrigeren SU-Dosis (p=0,027) behandelt worden als die Extensive-Metabolizer. Hingegen erhielten die Patienten mit SH unabhängig von ihrem Genotyp die gleiche SU-Dosis.

Schlussfolgerungen: Ein niedriger HbA1c-Wert ist der stärkste Risikofaktor für SH. Bei Typ-2-Diabetikern mit SH zeigte sich keine Häufung von CYP2C9-Slow-Metabolizer-Genotypen. Jedoch erhielten hypoglykämische Patienten mit Slow-Metabolizer-Genotypen versus Kontrollpatienten ohne SH eine signifikant höhere SU-Dosis. Diese offensichtliche CYP2C9-Genotyp-Dosis-Interaktion belegt trotzdem den potentiellen Wert einer individualisierten, pharmakogenetisch basierten Diabetestherapie mit Sulfonylharnstoffen.