Zeitschrift für Palliativmedizin 2011; 12(3): 115
DOI: 10.1055/s-0031-1274676
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Leserbrief

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Publication Date:
17 May 2011 (online)

 

Leserbrief zum Beitrag: „Pflege Sterbender und der Umgang mit Verstorbenen unterschiedlicher Religionen“ ZPalliativmed. 2011; 12: 62–65

Mit dem Erfahrungsbericht, den Sie für die letzte Ausgabe der Zeitschrift für Palliativmedizin verfasst haben, haben Sie deutlich beschrieben, wie herausfordernd die Begleitung von Menschen sein kann, die einen anderen religiösen oder kulturellen Hintergrund haben. Dabei handelt es sich in der Tat um ein sehr wichtiges Thema, das in Zukunft eher an Bedeutung zunehmen als abnehmen wird. Umso wichtiger ist es, dass die hauptamtlich und ehrenamtlich Tätigen die potenziellen Problemsituationen richtig einordnen, um auch im Sinne der anderen Patienten (die sich dadurch gestört fühlen könnten) reagieren zu können.

Im Bezug auf das Fallbeispiel erscheint mir ein Punkt, der ausgelassen wurde, für die richtige Einordnung jedoch wichtig zu sein. Es wurde der Fall beschrieben, bei dem die Familienangehörigen und die Bekannten nach dem Versterben des (muslimischen) Patienten seinen Tod sehr laut und für andere störend beklagten. Solche oder ähnliche Fallberichte durfte ich bereits auch aus anderen vergleichbaren Institutionen erfahren. Dabei führen die (meist nicht-muslimischen) Beobachter dieses Verhalten stets auf die Religion des Verstorbenen (Islam) zurück. Dieser Fehlschluss ist sehr weit verbreitet. Seine Quelle ist mir jedoch noch nicht ganz klar, denn der Islam als Religion verbietet das laute Beklagen des Todes eines Muslims. Dazu gibt es eindeutig belegte Hadithe (Aussagen des Propheten Muhammed, die nach dem Koran die wichtigste Quelle islamischen Glaubens sind). Die relevantesten Sammlungen der Autoren Al-Buchari (Band 2, Kapitel 23, Nr. 375 ff.) und Muslim (Buch 4, Nr. 2015 ff. ) beinhalten solche Aussagen, die u. a. lauten:

„Der Tote wird dafür bestraft, dass seine Angehörigen laut über ihn weinen.“

„Der Tote wird für das laute Weinen der Lebenden bestraft.“

Hierzulande sind es meistens Familien aus Anatolien und aus manchen arabischen Ländern, die den Tod mit gesungenen Totenklagen beklagen. Es sind mir aber gerade auch aus Heidelberg vergleichbare Fälle der griechischen Gemeinde bekannt. Das laute Beklagen der Toten ist nämlich ein Brauch, der sehr wohl auch in vielen (vornehmlich östlichen und südöstlichen) christlichen Gemeinschaften vorkommt. Auf dem Balkan ist dieser Brauch, der die sog. Klageweiber beinhaltet, z. B. ausschließlich unter Christen verbreitet, bei dortigen Muslimen jedoch – gerade mit dem Bezug auf diese oben genannten Hadithe – ein absolutes Tabu.

Da es in Deutschland sehr oft vorkommt, dass manche – ganz gleich ob erwünschte oder unerwünschte – Bräuche einzelner Nationen, die mehrheitlich muslimisch sind, gleich auf alle Muslime projiziert werden, ist es umso wichtiger, über diese Fehlschlüsse aufzuklären. Muslime sind nicht gleich Muslime. Die Bräuche der Indonesier dürften sich wesentlich von denen der Türken und diese wieder von denen der Bosnier oder Albaner unterscheiden. Die einzige gemeinsame Tendenz dürfte eher sein, dass ein sehr gläubiger Muslim, der seine Religion besser kennt, das Klagen seinen Angehörigen verbieten würde.

Da Sie sich mit diesem Thema beschäftigt hatten, dachte ich, dass Sie diese kurze Information interessieren könnte. Es zeigt lediglich, wie wichtig es ist, dass man jeden einzelnen Menschen in seiner Individualität wahrnimmt. Die Aussage, er sei Muslim, sagt noch gar nichts darüber aus, ob er tatsächlich religiös oder von nationalen (vorislamischen) Bräuchen beeinflusst ist.

Amina Salkic, LL.M.
Wissenschaftliche Mitarbeiterin
Institut für Deutsches, Europäisches und Internationales Medizinrecht, Gesundheitsrecht und Bioethik der Universitäten Heidelberg und Mannheim
E-Mail: amina.salkic@imgb.de