Zeitschrift für Palliativmedizin 2011; 12(3): 93-94
DOI: 10.1055/s-0031-1274665
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Mitwirkung an der Selbsttötung ist keine ärztliche Aufgabe

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Publication Date:
17 May 2011 (online)

 

Lieber Leserinnen und Leser,

die Bundesärztekammer veröffentlicht seit 1979 Richtlinien, später Grundsätze genannt, zur ärztlichen Sterbebegleitung. Sie sollen Ärztinnen und Ärzten eine Orientierung bei ihrer schwierigen Aufgabe der Begleitung von schwerstkranken und sterbenden Patienten geben. Die aktuelle Fassung der „Grundsätze zur ärztlichen Sterbebegleitung“ wurde im Februar 2011 veröffentlicht. Eine Überarbeitung der Grundsätze aus dem Jahre 2004 war notwendig geworden, nachdem der Gesetzgeber mit dem 3. Betreuungsrechtsänderungsgesetz u. a. die Patientenverfügung, die Stellung des Patientenvertreters und das Gespräch zur Feststellung des Patientenwillens gesetzlich geregelt hatte. Auch hatte sich die Rechtsprechung zu den ärztlichen Aufgaben und Pflichten am Lebensende weiterentwickelt, nicht zuletzt durch wichtige Grundsatzurteile des Bundesgerichtshofs.

Die Grundsätze befassen sich mit den Aufgaben des Arztes bei der Begleitung von schwer kranken und sterbenden Patienten. Sie beschreiben deshalb, was zu diesen Aufgaben gehört und welche Pflichten der Arzt gegenüber seinem sterbenden oder schwerstkranken Patienten hat. Sie stellen andererseits in der Präambel klar und unmissverständlich fest, was nicht zu dieser Aufgabe gehört, nämlich die Tötung des Patienten, auch wenn sie auf dessen Verlangen erfolgt, und die Beihilfe zum Suizid des Patienten. Während die Tötung auf Verlangen nach § 216 StGB stets strafbar ist, kann die Beihilfe zum Suizid nach allgemeinem Recht erlaubt sein, wenn der Suizident freiverantwortlich handelt. Ungeachtet der strafrechtlichen Bewertung vertreten die Grundsätze die Auffassung, dass die Mitwirkung des Arztes bei der Selbsttötung keine ärztliche Aufgabe darstellt.

Die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin weist in ihrem Kommentar zu den Grundsätzen der Bundesärztekammer darauf hin, dass es sehr wohl zu den ärztlichen Aufgaben zähle, sich respektvoll mit dem Todeswunsch der Patienten auseinanderzusetzen – also mit den Patienten und den Angehörigen die palliativmedizinischen Optionen zu erörtern. Diese Auffassung teilt die Bundesärztekammer uneingeschränkt. Wir stellen aber auch klar: Die ärztliche Aufgabe der Sterbebegleitung endet dort, wo Beihilfe zum Suizid geleistet wird. Dabei muss berücksichtigt werden, dass 95% aller Fälle, in denen bei Patienten Suizidgedanken aufkommen, mit einer behandelbaren Krankheit verbunden sind, insbesondere mit Depressionen in den verschiedenen Ausprägungen.

Die aktuellen Grundsätze unterstreichen die ablehnende Grundhaltung der Bundesärztekammer zur Suizidbeihilfe, verzichten jedoch auf den moralischen Vorwurf, der mit der alten Formulierung („Die Mitwirkung des Arztes bei der Selbsttötung widerspricht dem ärztlichen Ethos“) verbunden war. Dieser Vorwurf und der kryptische Hinweis auf die mögliche Strafbarkeit (Suizidbeihilfe „könne strafbar sein“) boten keine Hilfe, wenn ein Arzt mit dem Wunsch eines Patienten nach Suizidbeihilfe konfrontiert wurde. Sie verdeckten die eigentliche Aussage, dass die Suizidbeihilfe nicht zur Aufgabe des Arztes bei der Sterbebegleitung gehört und verhinderten die notwendige Auseinandersetzung über eine Thematik, zu der es in der Ärzteschaft wie in der Gesellschaft unterschiedliche und differenzierte Moralvorstellungen gibt.

Die verschiedentlich geäußerte Auffassung, die Grundsätze würden es einem Arzt erlauben, als Privatperson am Suizid mitzuwirken, beruht auf zwei grundlegenden Missverständnissen. Erstens sind die beruflichen Pflichten eines Arztes unteilbar; sie hängen nicht davon ab, ob ein Arzt einen Arztkittel trägt oder ob er in seiner Freizeit handelt. Zweitens werden die Berufspflichten eines Arztes durch Gesetz und Berufsordnung festgelegt. Die Grundsätze sind aber weder das eine noch das andere. Sie sollen vielmehr Ärztinnen und Ärzten eine Orientierung bei ihrer schwierigen Aufgabe der Begleitung von schwerstkranken und sterbenden Patienten geben, indem sie die maßgebenden Grundsätze und Kriterien aufzeigen, die Art, Umfang und Grenzen der ärztlichen Behandlung am Lebensende bestimmen.

Jörg-Dietrich Hoppe
Präsident der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages

Prof. Dr. Jörg-Dietrich Hoppe, Berlin

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