Zusammenfassung
Hintergrund: Als Pierre Robin Sequenz (PRS) bezeichnet man die Kombination aus zu kleinem und/oder
zurückliegenden Unterkiefer, zurückfallender Zunge (Glossoptose) und obstruktiver
Atmungsstörung. Bei ausgeprägtem Befund tritt bereits unmittelbar nach Geburt eine
Atemwegsobstruktion mit Zyanose auf, wobei die dann notwendige Intubation z. T. nur
endoskopisch gelingt. Daher kommt der pränatalen Diagnose mit Überweisung an ein spezialisiertes
Zentrum große Bedeutung zu.
Methode: Es soll ein nicht-invasives, interdisziplinäres Behandlungskonzept vorgestellt werden.
Zentrales Element dieses Konzeptes ist der frühestmögliche postnatale Therapiebeginn
mit einer speziellen Gaumenplatte mit „Sporn” (preepiglottic baton plate; PEBP).
Evidenz: In einer randomisierten Crossoverstudie mit 11 Patienten mit isolierter PRS konnte
eine signifikante Abnahme der Zahl obstruktiver und gemischter Apnoen durch diese
Gaumenplatte (PEBP) im Vergleich zu einer konventionellen Gaumenplatte nachgewiesen
werden. In einer unkontrollierten Longitudinalstudie konnte zudem gezeigt werden,
dass sich bis 3 Monate nach Entlassung die obstruktive Atmungsstörung normalisiert
hatte und kein Kind mehr mit Magensonde ernährt werden musste. In einer vergleichenden
Studie an 34 gesunden Kindern und 34 Kindern mit isolierter PRS konnte gezeigt werden,
dass Kinder mit isolierter PRS keine relevanten Unterschiede im kognitiven Outcome
im Vergleich zu gesunden Kindern haben.
Schlussfolgerung: Interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Pränatalmedizin, Geburtshilfe, Neonatologie
und Kieferorthopädie ist Voraussetzung für eine optimale postnatale Therapie. Folgeschäden
der obstruktiven Atmungsstörung können durch den frühestmöglichen Beginn einer adäquaten
Therapie vermieden und für Nahrungsaufnahme, Sprache und Gesichtsprofil optimale Behandlungsergebnisse
erreicht werden. Invasive und nebenwirkungsbehaftete Methoden wie chirurgische Zungenadhäsion,
Rollenextension oder Unterkieferdistraktion sollten heute obsolet sein.
Abstract
Background: Pierre Robin Sequence (PRS) is characterised by mandibular micrognathia and/or retrognathia,
glossoptosis and upper airway obstruction (UAO). In severe cases, UAO and cyanosis
occur immediately after birth and endoscopic intubation may become necessary. Therefore,
prenatal diagnosis with referral to a specialized department is important.
Method: A non-invasive interdisciplinary treatment protocol is presented. The postnatal adjustment
of the preepiglottic baton plate (PEBP) as early as possible is essential in this
concept.
Evidence: In a randomised cross-over trial with 11 patients with isolated PRS, the PEBP was
found to reduce the apnoea index significantly and to be superior to a conventional
palatal plate. An uncontrolled longitudinal study indicated that the UAO had normalised
3 months after discharge; all infants showed adequate weight gain with bottle feeding.
In a comparative study with 34 healthy children and 34 children with isolated PRS,
no significant differences in cognitive outcome was found.
Conclusions: Interdisciplinary co-operation between prenatal care, neonatology and orthodontics
is a pre-requisite for optimal postnatal therapy. Complications of UAO can be avoided
by early and adequate treatment, resulting in good results for feeding, speech and
facial profile. Invasive surgical treatment options like tongue-lip-adhesion, mandibular
extension or distraction should be obsolete.
Schlüsselwörter
pränatale Diagnostik - Pierre Robin Sequenz - Retrogenie - Glossoptose - Obstruktion
der oberen Atemwege - kieferorthopädische Therapie
Key words
prenatal diagnosis - Pierre Robin Sequence - retrogenia - glossoptosis - upper airway
obstruction - orthodontic treatment