Sprache · Stimme · Gehör 2011; 35(1): e3-e9
DOI: 10.1055/s-0031-1273714
Schwerpunktthema

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Situationsmodell und narrative Shifts: Voruntersuchungen zur Diagnostik von sprachlichen und kognitiven Verstehensproblemen bei hirngeschädigten Patienten[*]

Situation Model and Narrative Shifts: Preliminary Studies on the Diagnostics of Speech and Cognitive Comprehension Problems in Brain-Damaged PatientsJ. Klann1 , W. Huber1
  • 1Interdisziplinäres Zentrum für Klinische Forschung Aachen (IZKF Aachen) und Klinische Kognitionsforschung an der Neurologischen Klinik, Universitätsklinikum, RWTH Aachen University
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
05. April 2011 (online)

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Zusammenfassung

Narratives Verstehen von alltäglichen Geschichten folgt einer weitgehend unbewussten rezeptiven Erzählsemantik. Diese beruht auf einem mentalen Situationsmodell, in dem der Strom an Informationen online in Erzählabschnitte segmentiert und wiederkehrende Erzählwechsel (narrative Shifts) erfasst werden. Narrative Shifts werden dem Modell nach durch sprachunabhängige konzeptuelle Parameter des Sprachverständnisses ausgelöst. Sie eignen sich daher gut zur Auslese zwischen aphasischen Erzählverständnisstörungen und Beeinträchtigungen in grundlegenden kognitiven Verstehensprozessen. Es ist zu erwarten, dass Personen mit Aphasie bei der Rezeption sprachlicher Texte beeinträchtigt sind, während die sprachunabhängige kognitive Verarbeitung narrativer Shifts, z. B. im Stummfilm, unbeeinträchtigt sein sollte. Demgegenüber müssten bei Patienten mit kognitiven Störungen Symptome in beiden Leistungen auftreten. Nachfolgend sollen das Situationsmodell und narrative Shifts als Verstehensprozesse theoretisch eingeführt sowie Studien zur Rezeption narrativer Shifts und zu deren neuralen Korrelaten vorgestellt werden.

Abstract

Story comprehension determines much of our everyday experiences and is governed by implicit processes of narrative semantics. The stream of incoming information is segmented into narrative events. Thereby, new information and expectations based on general world knowledge are integrated into a mental situation model that is characterised by constituent features such as characters, time and location. Narrative shifts indicate major conceptual changes at event boundaries (e. g., change of character), which result in updating of the situation model. Since the situation model predicts narrative shifts to represent cognitive comprehension processes that are independent of verbal coding, they are a promising parameter to discriminate between neurocognitive deficits and purely aphasic difficulties of narrative comprehension. While persons with aphasia typically have difficulties in spoken or written text comprehension, they have less difficulty to understand silent movies. In contrast, non-language-related cognitive deficits should result in problems with text and movies. In the following, the situation model and the notion of narrative shift will be delineated theoretically, and behavioural as well as imaging data from 2 empirical studies on the reception of narrative shifts will be presented.

Ergänzendes Material
Literatur

1 Die beiden im Artikel vorgestellten Studien wurden gefördert mit Mitteln des IZKF Aachen (Interdisziplinäres Zentrum für Klinische Forschung an der Medizinischen Fakultät der RWTH Aachen University, Fördernummer N2-2).

1 Die beiden im Artikel vorgestellten Studien wurden gefördert mit Mitteln des IZKF Aachen (Interdisziplinäres Zentrum für Klinische Forschung an der Medizinischen Fakultät der RWTH Aachen University, Fördernummer N2-2).

Korrespondenzadresse

Dr. des. J. Klann(M.A.) 

Sektion Klinische

Kognitionsforschung

Neurologische Klinik

Universitätsklinikum, RWTH

Aachen University

Pauwelsstraße 30

52074 Aachen

eMail: jklann@ukaachen.de