Fragestellung: Die Bewertung von visuell evozierten Potentialen (VEP) in der MS-Diagnostik ist aufgrund
der variablen Reizantworten im Hinblick auf klare Grenzwerte, ab denen VEP pathologisch
sind und für eine MS sprechen, schwierig. VEP verschiedener Patientengruppen werden
hinsichtlich diagnostisch relevanter Unterschiede der Reizantwort untersucht. Prädiktive
Werte werden verglichen, um einen sinnvollen Grenzwert festzulegen, ab dem VEP auf
eine MS hinweisen.
Methoden: P100-Latenzen und Amplituden der VEP bei Schachbrettreizung von Patienten mit nach
McDonald-Kriterien diagnostizierter MS und akuter demyelinisierender Enzephalomyelitis
(N=112) wurden mit Gesunden (N=212) und Patienten mit nichtentzündlichen ZNS-Erkrankungen
(N=135) verglichen.
Ergebnisse: Die Latenzen im MS-Kollektiv sind im Vergleich zu den beiden anderen Kollektive signifikant
verzögert (p<0,001). Die Amplituden fielen sie bei Patienten mit einer MS und bei
Patienten mit einer nichtentzündlichen ZNS-Erkrankung im Vergleich zu Patienten ohne
ZNS-Erkrankung jeweils signifikant niedriger aus (p<0,001). Bei einem pathologischen
Grenzwert der P100-Latenz von 120ms ergaben sich im Vergleich MS zu Normalkollektiv
ein positiver prädiktiver Wert (PPW) von 0,77 und ein negativer prädiktiver Wert (NPW)
von 0,79. Bei einem Grenzwert von 122ms waren PPW 0,86 (NPW 0,78). Im Vergleich MS
zu sonstigen ZNS-Erkrankungen war bei einem Grenzwert von 120ms der PPW 0,73 (NPW
0,79); bei einer Latenz von 122ms war der PPW 0,62 (NPW 0,76). Für das MS-Kollektiv
gegen das Gesamtkollektiv gesunde Probanden und Probanden mit nichtentzündlichen ZNS-Erkrankungen
war für einen Grenzwert von 120ms der PPW 0,73 (NPW 0,79), für 122ms PPW 0,75 (NPW
0,78), für 125ms PPW 0,79 (NPW 0,74).
Schlussfolgerung: Die Untersuchung zeigt, dass sich bei MS-Patienten und Patienten, die nichtentzündliche
ZNS-Erkrankungen aufweisen eine hohe Varianz der Latenzen zeigt, was die Schaffung
eindeutiger Grenzwerte erschwert. Im Vergleich zu Gesunden scheint eine P100-Latenz
von 122ms ausreichende prädiktive Werte zu gewährleisten. Kann keine Aussage gemacht
werden, ob eine nicht entzündliche ZNS-Erkrankung vorliegt, scheint eine P1ßß-Latenz
125ms mit einem PPW von 0,79 eine MS vorherzusagen.
Die Unterschiede der VEP-Amplituden sind diagnostisch nicht verwertbar, können jedoch
im Einzelfall hilfreich sein. Es können jedoch nur Rückschlüsse auf eine ZNS-Läsion
gezogen werden, ohne dass MS-spezifische Veränderungen auffielen.