Klinische Neurophysiologie 2011; 42 - P326
DOI: 10.1055/s-0031-1272773

Wenn dem Gehirn der vestibuläre Kompass fehlt – reale Navigation bei bilateraler Vestibulopathie im PET

A. Zwergal 1, C. la Fougère 1, G. Xiong 1, G. Kugler 1, J. Schlichtiger 1, T. Brandt 1, M. Strupp 1, E. Schneider 1, K. Jahn 1
  • 1München

Ziele: Charakterisierung des supraspinalen Navigationsnetzwerks bei Patienten mit bilateraler Vestibulopathie im Vergleich zu Normalpersonen bei realer Navigation mittels FDG-PET

Methoden: 8 Normalpersonen und 8 Patienten mit bilateraler Vestibulopathie mussten in einer nicht vertrauten komplexen räumlichen Umgebung eines Ambulanzbereiches ein Navigationsparadigma ausführen. Dazu wurde den Probanden zunächst die Räumlichkeit gezeigt, in der 5 Gegenstände verteilt worden waren. Anschließend wurde FDG injiziert und die Probanden sollten auf Anweisung in pseudorandomisierter Reihenfolge über einen Zeitraum von 10min die Symbole wieder finden. Die Probanden trugen dabei eine blickgesteuerte Kopfkamera, um das visuelle Navigationsverhalten während dieser Aufgabe zu dokumentieren. Als Vergleichbedingung mussten die Probanden in einer zweiten Sitzung nach Injektion von FDG für 10min in einem langen Gang auf- und abgehen ohne dabei zu navigieren. 30min p.i. wurde jeweils eine PET-Messung durchgeführt. In der Auswertung wurde die Hirnaktivierung bei der Navigationsbedingung gegen die stereotype Lokomotionsbedingung verglichen und mit dem aufgezeichneten Blickverhalten bei Navigation korreliert.

Ergebnisse: In der Gruppe der Normalpersonen zeigte sich bei Navigation im Vergleich zu. stereotyper Lokomotion eine Aktivierung im Bereich des pontinen Hirnstammtegments und des anterioren Hippokampus (re>li). Der Vergleich der Navigation (vs. Lokomotion) zwischen Normalpersonen und Patienten mit bilateraler Vestibulpathie ergab eine signifikant höhere Aktivierung des rechten anterioren Hippokampus und der posterioren Insel bilateral bei den Normalpersonen, während sich eine verstärkte Aktivierung des posterioren Parahippokampus bilateral bei Patienten mit bilateraler Vestibulopathie fand. Anhand der Auswertung des Blickverhaltens konnte bei Normalpersonen eine Navigationsstrategie nach einer ‘kognitiven räumlichen Karte’, bei Patienten mit bilateraler Vestibulopathie eine Landmarken-basierte Strategie ermittelt werden.

Schlussfolgerungen: Das reale Navigationsverhalten bei Normalpersonen und Personen mit einer bilateralen vestibulären Störung unterscheidet sich deutlich. Eine raumorientierte Navigationsstrategie bei Normalpersonen korreliert dabei mit einer Aktivierung des anterioren Hippokampus, während eine Landmarken-basierte Strategie bei Patienten mit bilateraler Vestibulopathie mit einer Aktivierung des posterioren Parahippokampus einhergeht. Es kann vermutet werden, dass ein Mangel an vestibulärer Information zu einer Störung der Entwicklung der ‘kognitiven räumlichen Karte’ im Hippokampus führt, die durch visuelle parahippokampale Orientierung kompensiert wird.