Klinische Neurophysiologie 2011; 42 - P304
DOI: 10.1055/s-0031-1272751

Der Zeitverlauf der Bewegungsvariabilität als Charakteristikum eines funktionierenden motorischen Kontrollsystems

M. Krüger 1, T. Eggert 1, A. Straube 1
  • 1München

Fragestellung: Die Alltagsmotorik des Menschen lässt sich durch hohe Effizienz und Reproduzierbarkeit charakterisieren. Gleichzeitig existiert jedoch immer eine Variabilität zwischen wiederholten Bewegungen. In den letzten Jahren ist die Bedeutung dieser Bewegungsvariabilität in den Fokus des wissenschaftlichen Interesses gerückt. Unklar ist, inwieweit Bewegungsvariabilität als Charakteristikum eines funktionierenden oder defizitären motorischen Kontrollsystems (z.B. im Alter oder nach Schlaganfall) angesehen werden kann.

Methoden: Zur Untersuchung der Fragestellung wurden jüngere (n=6; 20–35Jahre) und ältere (n=5; 50–65 Jahre) Probanden gebeten wiederholt zu einem Greifziel zu greifen. Mittels eines Ultraschall-aussendenden Messsystems wurde der Bewegungsverlauf des Armes in seinen sieben Freiheitsgraden aufgezeichnet. Der Zeitverlauf der Bewegungsvariabilität in den Gelenkwinkeln des Armes wurde analysiert. Zusätzlich wurden Einzelfallbetrachtungen an Patienten mit Hemiataxie nach einem Kleinhirninfarkt durchgeführt.

Ergebnisse: Die statistische Analyse der Daten zeigt keine bedeutsamen Unterschiede im Zeitverlauf der Bewegungsvariabilität bei jüngeren und älteren Probanden. In beiden Altersgruppen zeigt sich ein Anstieg der Bewegungsvariabilität bis etwa zur Mitte der Bewegung. Anschließend sinkt die Bewegungsvariabilität ab oder bleibt auf einem konstanten Niveau. Dieser Effekt zeigt sich in jedem der sieben Freiheitsgrades des Armes. Die Höhe der Bewegungsvariabilität unterscheidet sich nicht zwischen den beiden Altersgruppen.

Schlussfolgerungen: Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass bei der Kontrolle von alltäglichen Greifbewegungen Bewegungsvariabilität einen charakteristischen Bestandteil eines funktionierenden motorischen Kontrollsystems darstellt. Kontrollprozesse werden, unabhängig vom Alter, in der zweiten Hälfte der Bewegung wirksam. Die Einzelfallbetrachtung zweier Schlaganfallpatienten mit Hemiataxie hingegen deutet auf ein heterogeneres Verhaltensmuster innerhalb der Patientengruppe mit unterschiedlichen Zeitverläufen der Variabilität hin. Somit stellt die Analyse des Zeitverlaufes der Bewegungsvariabilität ein effektives Mittel zur Differenzierung zwischen funktionierenden und defizitären motorischen Kontrollsystemen dar. Dieses Wissen kann genutzt werden um spezifische Defizite im motorischen Kontrollsystem aufzudecken.