Klinische Neurophysiologie 2011; 42 - P289
DOI: 10.1055/s-0031-1272736

Austesten der Grenzen visueller Aufmerksamkeit bei Patienten mit psychotischen Störungen

R. Verleger 1, S. Talamo 1, J. Simmer 1, R. Lencer 1
  • 1Lübeck, Münster

Fragestellung:

1) Negativierung über dem visuellen Kortex kontralateral zum relevanten Reiz („N2pc“) ist ein ERP-Korrelat selektiver Aufmerksamkeit. Dies ist bislang bei psychotischen Patienten wenig untersucht; Luck et al. (Schiz.Res. 2006) fanden keine Unterschiede zwischen Schizophrenen und Gesunden.

2) Bei schneller Darbietung zweier Zielreize T1 und T2 in zwei gleichzeitig ablaufenden Reizströmen fanden bisherige Studien an Gesunden (u.a. Verleger et al., J of Cogn Neurosci 2009) deutliche Hemisphärenasymmetrien im Verhalten: Die kritischen T2-Zielreize werden links wesentlich besser erkannt als rechts. Im Lichte von Modellen über geänderte Hemisphärenasymmetrie bei Schizophrenen waren diese Links-Rechts-Unterschiede hier zusätzlich von Interesse.

Methoden: Untersucht wurden 20 Patienten mit Schizophrenie, 20 Patienten mit bipolarer Störung und 20 gesunde Kontrollpersonen. Bei zwei gleichzeitigen schnellen (8/s) Reizfolgen waren zwei Zielreize (T1 und T2) zu identifizieren. Jeder Zielreiz konnte entweder rechts oder links vorkommen; der zeitliche Abstand T1-T2 betrug entweder 130ms oder 520ms. Gemessen wurden Identifikationsraten sowie EEG-Potentiale, nämlich die VEPs auf die gesamte Folge von 20 Reizpaaren pro Durchgang und die N2pc auf T1 und T2, getrennt für linke und rechte Zielreize.

Ergebnisse: Wie in vorigen Studien erkannte die gesunde Kontrollgruppe den T2 besser links als rechts. Unterschiede der Patienten von der Kontrollgruppe in der Erkennensleistung waren minimal. Jedoch hatten beide Patientengruppen, besonders die Schizophrenen, kleinere VEPs auf den ersten Reiz in jedem Durchgang, die Schizophrenen hatten eine kleinere N2pc auf T1, und beide Patientengruppen hatten keine erkennbare N2pc auf T2. Geänderte Hemisphärenasymmetrien zeigten sich bei den Patienten weder im Verhalten noch in den EEG-Potentialen.

Schlussfolgerungen: Neurophysiologische Mechanismen, die der visuellen Aufmerksamkeit zugrunde liegen (N2pc), sind unter Belastung (T2-Erkennung bei schneller Reizfolge) bei psychotischen Patienten durchaus eingeschränkt. Dabei wird die Belastungsgrenze bei Schizophrenen schneller erreicht als bei Bipolaren (N2pc auf T1). Diese Abweichung von den Gesunden zeigt sich bei nur minimal veränderter Verhaltensleistung; daher könnten die N2pc-Defizite unspezifischer Natur sein und ein zugrundeliegendes Defizit in der arousal-Reaktion ausdrücken, wie es sich bereits in der Reduktion der VEP-Amplitude auf die ersten Reize zeigt.