Klinische Neurophysiologie 2011; 42 - P274
DOI: 10.1055/s-0031-1272721

Verstärkte sensorische Rückmeldung nach eigener Bewegung beim Tourette-Syndrom

K. Biermann-Ruben 1, A. Miller 1, S. Franzkowiak 1, J. Paszek 1, B. Pollok 1, M. Jonas 1, G. Thomalla 1, A. Münchau 1, A. Schnitzler 1
  • 1Düsseldorf, Konstanz, Hamburg

Das Gilles de la Tourette Syndrom (TS) ist durch multiple motorische und vokale Tics gekennzeichnet. Die klinische Symptomatik sowie jüngste Befunde deuten aber darauf hin, dass auch die sensorische Verarbeitung verändert sein könnte. Die vorliegende Studie analysiert die einer Bewegung unmittelbar vorausgehende neuronale Aktivierung (Bereitschaftsfeld, BF) sowie die Aktivierung nach Bewegungsbeginn als Komponente der sensorischen Rückmeldung (movement evoked field, MEF) bei Patienten mit TS. Fragestellung ist, ob die evozierte Aktivität vor oder nach Bewegungsbeginn bei TS Patienten verändert ist.

12 Pbn mit TS und 12 Kontrollpbn nahmen an der Studie teil. Die Hirnaktivität der Pbn wurde bei der Bearbeitung von zwei Aufgaben mittels 122 Kanal-Magnet-enzephalografie (MEG) gemessen. Die erste Aufgabe war ein kombiniertes S1-S2-Go/NoGo-Paradigma („Go/NoGo“). Je nachdem, welcher visuelle Reiz (Kreuz oder Quadrat) als S1 präsentiert wurde, mussten die Pbn bei einem folgenden „Go“ Reiz als S2 (farbiger Kreis) entweder den Zeige- oder Mittelfinger heben. Bei einem „NoGo“-Reiz durfte keine Reaktion erfolgen. Bei der zweiten Aufgabe hoben die Pbn selbstbestimmt ohne externe Stimulation entweder den Zeige- oder den Mittelfinger („selfpaced“). Die MEG-Daten der Pbn wurden zum Bewegungsbeginn gemittelt. Zu den evozierten Feldern um –100ms (BF) und um 35ms (MEF) der Aufgabe „selfpaced“ wurde je ein Stromdipol pro Person berechnet. Die Gipfelamplituden der über die Zeit variierenden Dipole zu BF und MEF wurden mittels 3-faktorieller Varianzanalyse untersucht (Pbn-Gruppe, Aufgabe, Komponente).

Für das BF konnte bei 9 TS-Pbn und bei 10 Kontrollpbn ein Dipol bestimmt werden; ein MEF-Dipol war bei allen Pbn bestimmbar. Die Varianzanalyse der Gipfelamplituden resultierte in drei signifikanten Haupteffekten und einer signifikanten Interaktion zwischen Gruppe und Komponente (p<0,028): Während es beim BF keinen Unterschied zwischen den Gruppen gab (post-hoc Scheffé p=0,99) hatten die TS-Pbn im MEF signifikant höhere Werte als die Kontrollpbn (p<0,011).

Die Daten sprechen dafür, dass bei TS-Pbn die sensorische Rückmeldung auf eine selbst durchgeführte Bewegung gegenüber Kontrollpbn verstärkt ist. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Bewegung spontan oder extern getriggert ist. Wir deuten diesen Befund als Hinweis für eine veränderte motorisch-sensorische Interaktion im Sinne einer abnorm verstärkten sensorischen Rückkopplung während Willkürbewegungen bei Patienten mit TS.