Klinische Neurophysiologie 2011; 42 - P256
DOI: 10.1055/s-0031-1272703

Dysphagie und Dysarthrie bei der Amyotrophen Lateralsklerose

N. Marschner-Preuth 1, C. Hamacher 1, S. Oelenberg 1, E.B. Ringelstein 1, P. Young 1, R. Dziewas 1, T. Warnecke 1
  • 1Bielefeld, Münster

Fragestellung: Die amyotrophe Lateralsklerose (ALS) beginnt bei 30% der Patienten mit bulbären Symptomen. Im Krankheitsverlauf entwickeln nahezu alle ALS-Patienten eine bulbäre Dysphagie und Dysarthrie. Insbesondere die Dysphagie ist ein wesentlicher prognostischer Faktor, da sie mit Aspirationspneumonie, Unterernährung und Kachexie assoziiert ist. Die vorliegende Studie untersucht erstmals klinische Zusammenhänge und Prädiktoren von Dysarthrie und Dysphagie bei der ALS.

Methoden: Wir haben 50 konsekutive Patienten im Alter zwischen 37–85 Jahren (m/w 28/22, Alter 66,2±10,9 a) mit einer definitiven oder wahrscheinlichen ALS nach den El Escorial-Kriterien in die Studie eingeschlossen. Alle Probanden wurden mittels klinisch-neurologischer Untersuchung, ALS-Functional Rating Scale (ALS-FRS), fiberendoskopischer Schluckuntersuchung (FEES) und dem Frenchay Dysarthria Assessment evaluiert. Zusätzlich wurden weitere relevante anamnestische Daten erhoben (Pneumonie, Krankheitsdauer, Heimbeatmung, PEG-Anlage etc.). Als statistische Verfahren wurden Korrelationsanalysen nach Spearman und lineare Regressionsanalysen angewendet.

Ergebnisse: Während insgesamt 42 der ALS-Patienten (84%) nach den Kriterien des Frenchay Dysarthria Assesments eine Dysarthrie aufwiesen, fand sich in der FEES bei 33 aller eingeschlossenen ALS-Patienten (66%) eine Dysphagie. Von den dysphagischen ALS-Patienten hatten 22 (44%) eine leichtgradige, 8 (16%) eine mittelgradige und 3 (6%) eine hochgradige Dysphagie. Aspirationen mindestens einer Nahrungskonsistenz konnten bei 20% aller Patienten detektiert werden. Positive Korrelationen fanden sich zwischen dem Dysphagie Schweregradsscore, dem Frenchay Dysarthria Assessment, der Gaumensegelparese und der ALS-FRS. In der linearen Regressionsanalyse wurden als unabhängige Prädiktoren für die Schwere der Dysarthrie Alter, Gaumensegelparese und Fazialisparese gefunden. Der einzige unabhängige Prädiktor für den Dysphagieschweregrad war das Vorliegen einer Gaumensegelparese.

Schlussfolgerungen: Bei der amyotrophen Lateralsklerose besteht ein enger Zusammenhang zwischen dem allgemeinen funktionellen Status (ALS-FRS) und dem Schweregrad bulbärer Symptome. Dagegen korrelieren respiratorische Funktion (sekundäre alveoläre Hypoventilation) und Krankheitsdauer nicht mit der Schwere von Dysarthrie und Dysphagie. Bei allen ALS-Patienten mit einer Gaumensegelparese sollte eine detaillierte neurologisch-endoskopische Dysphagieevaluation erfolgen.