Klinische Neurophysiologie 2011; 42 - P241
DOI: 10.1055/s-0031-1272688

Ereignis-korrelierte Potentiale der Diskrimination visueller Gesichtsausdrücke: P350 als Marker für Störungen der sozialen Kognition bei Kleinhirnläsionen

M. Adamaszek 1, K. Strecker 1, H. Hummelsheim 1, H. Woldag 1
  • 1Greifswald, Leipzig

Hintergrund: Trotz der topologisch bislang unklaren Details sind Störungen im affektiv-behaviouralen Spektrum im Zusammenhang mit einer Kleinhirnläsion klinisch-neuropsychologisch gut dokumentiert. Wir fokussierten Störungen der Erkennung emotionaler Gesichtsausdrücke bei Kleinhirninfarkten mittels Ereignis-korrelierter Potentiale (ERP).

Methoden: Wir untersuchten neun Patienten mit cerebellaren Infarkten (6 Patienten unilateral, 3 Patienten bilateral) und acht Patienten mit einem vergleichbaren Profil hinsichtlich Alter, Geschlecht und cerebrovaskulären Risiko. Defizite in der Affektdiskrimination wurden klinisch über die Tübinger Affekt-Batterie (TAB) geprüft. Zur ERP-Analyse der emotionalen Gesichterdiskrimination wurden 120 farbige Gesichterabbildungen aus der Karolinska Directed Emotional Faces Database (KDEF) pseudorandomisiert für 1200ms ohne Interstimulus-Intervall innerhalb einer Abfolge von 579 Bildern aus dem International Affective Picture System (IAPS) präsentiert. Die Probanden sollten bei den Ereignissen mit Gesichtern die Emotion des Gesichtsausdrucks entsprechend der fünf in Frage kommenden Basisemotionen (neutral, fröhlich, ärgerlich, ängstlich, traurig) identifizieren. Die ERP wurden mit einem hochauflösenden EEG-Sensornetz (129 channels) aufgezeichnet.

Ergebnisse: Patienten mit einer Kleinhirnläsion wiesen Defizite in der Zuordnung visueller Gesichtsausdrücke (Subtest 5 der TAB) auf. Eine verstärkte N170 als Merkmal der intakten frühen Gesichtererkennung wurde in beiden Gruppen (Patienten, Kontrollpersonen) aufgezeichnet. Die Analyse der P350 ergab für neutrale Gesichter, nicht aber für Gesichter mit einer emotionalen Ausdruckskomponente in den parietalen Ableitungen eine verstärkte Amplitude bei den Patienten. Eine parietal verstärkte P350-Amplitude für Gesichter mit einer non-emotionalen, darüber hinaus eine verstärkte Amplitude für emotionale Ausdruckskomponenten ergab sich bei den Kontrollpersonen.

Schlussfolgerung: Die klinische Beobachtung von Defiziten der affektiven Gesichtsdiskrimination bei Patienten mit ischämischen Kleinhirnschädigungen lässt sich neurophysiologisch abbilden. Aufgrund der intakten N170-Generierung weisen unsere Ergebnisse mit einer fehlenden P350 in der emotionalen Gesichterdiskriminierung auf Störungen höhergeordneter frontaler top-down-Signalprozesse in Abhängigkeit von cerebellaren Komponenten.