Psychiatr Prax 2011; 38(1): 45-51
DOI: 10.1055/s-0031-1271907
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Das "St. Florian-Prinzip" steuert die maßnahmenbezogene Finanzierung von Leistungen für psychisch Kranke – Anstehende Reformen der Rahmenbedingungen für die Finanzierung

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Publication Date:
20 January 2011 (online)

 

Einleitung

Die "strukturbedingte Verschwendung therapeutischer Ressourcen" und "dass das St. Florian-Prinzip vielfach zum Charakteristikum der Entwicklung psychiatrischer Versorgung geworden ist" beklagten die "Empfehlungen der Expertenkommission der Bundesregierung..." schon 1988 ([1], S.72f.). Eine zentrale Grundlage für diese Beurteilung war der Vergleich mit der erstmaligen Analyse eines "Regionalen Psychiatriebudgets" (Oberbergischer Kreis, Rheinland) im Rahmen des Modellprogramms Psychiatrie. Es ging um das Ziel "Optimierung Wege ausfindig zu machen, auf denen das gewünschte Ergebnis mit dem geringsten Aufwand zu erzielen ist" (Vorwort zu [2]).

Damals und heute gilt: Die von jedem Systemteilnehmer vorgenommene Optimierung seiner Aufgaben im Sinne des Zielsystems gemäß seiner Zuständigkeit führt nicht zu einem Gesamtoptimum, sondern beeinträchtigt die Versorgung der Patienten und die Effizienz des Versorgungssystems insgesamt. Die Lösung der Probleme erfordert viele kleine Schritte, die an einer konsentierten langfristigen Zielperspektive ausgerichtet werden.

In die Versorgung psychisch kranker Menschen in Deutschland sind, z.T. bedingt durch die Grenzziehungen des Sozialgesetzbuchs, eine Vielzahl von Organisationen involviert, die sich mit Fragen der Prävention, der Behandlung, der Rehabilitation, der Pflege und der Schaffung von Wohn- und Arbeitsmöglichkeiten beschäftigen. Die Finanzierung erfolgt über verschiedene Sozialsysteme wie Krankenkassen, Pflegekassen, örtliche und überörtliche Sozialhilfeträger, die Rentenversicherung, die Bundesländer und die Bundesagentur für Arbeit [3]. Die Wurzel des St. Florian-Prinzips ("Heiliger Sankt Florian/Verschon mein Haus/Zünd andre an!" [Wikipedia]) ist die Systemlogik, nicht die Moral der Akteure.

Diesem abstrakten Negativ soll ein konkretes positives Beispiel gegenübergestellt werden, um daraus abzuleiten, um was es geht: Im Bereich der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV – http://www.dguv.de) in Verbindung mit den Berufsgenossenschaften erfolgt die Versorgung von Unfallverletzten wie aus einer Hand und umfasst die Behandlung, ggf. die medizinische und berufliche Rehabilitation und die Pflege. Mit Behandlung wird auch das Ziel verfolgt, den Bedarf für medizinische und berufliche Rehabilitation und durch beides zusätzlich den Pflegebedarf zu mindern. Der Erfolg aller 3 Maßnahmebereiche hat Auswirkungen auf die Wiedereingliederung, ggf. den Umfang der Berentungen und die entsprechenden langfristigen Kosten.

Hier ist eine "sektorübergreifende" Verantwortung für die Unfallverletzten institutionalisiert, die die gleichzeitig und nacheinander durchgeführten Maßnahmen in Bezug auf die Wirkung, die Kosten und die Effizienz (Verhältnis von Nutzen und Kosten) für die einzelne Person (integrierte Behandlungs- und Rehabilitationsplanung und -durchführung) sowie die gesamte Gruppe der Versicherten berücksichtigt und bewertet. (Der Zuständigkeitsstreit zwischen DGUV und Krankenkassen ist damit nicht neutralisiert.)

Bei dieser personenbezogenen Zuständigkeit besteht auch ein Interesse für die Investition in Prävention (s. z.B. Erfolge der Asbest- und Unfallvermeidung), die den Bedarf und Kosten für Behandlung, Rehabilitation, Pflege und Rente mindert.

Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen thematisiert im Sondergutachten 2009 "wiederum spezielle Koordinationsprobleme im deutschen Gesundheitswesen, d.h. entsprechende Anforderungen an eine effiziente und effektive Versorgung..." ([4], Kurzfassung S. 13). Amelung [5] gibt im ersten Kapitel von "Innovative Konzepte im Versorgungsmanagement von ZNS-Patienten" eine informative allgemeine Übersicht der in den letzten Jahren geschaffenen gesetzlichen Möglichkeiten zur Überwindung von Schnittstellenproblemen im Gesundheitswesen.

Literatur

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  • 02 Der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit Hrsg.. Modellprogramm Psychiatrie – Regionales Psychiatriebudget.. Band 181 Schriftenreihe des BMJFG. Stuttgart: Kohlhammer; 1986
  • 03 Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR) .Arbeitshilfe für die Rehabilitation und Teilhabe psychisch kranker und Behinderter Menschen. Schriftenreihe der BAR, 2010
  • 04 http://www.svr-gesundheit.de/Startseite/Startseite.htm (18.9.2011)
  • 05 Amelung V E Neue Versorgungsformen als Strategie zur Effizienz- und Qualitätssteigerung im Gesundheitswesen. In: Amelung V E, Bergmann F, Falkai P, Hauth I, et al, Hrsg. Innovative Konzepte im Versorgungsmanagement von ZNS-Patienten. Berlin: Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft; 2010
  • 06 Becker T, Bauer M, Rutz W. Aktion Psychisch Kranke, eds. Psychiatric reform in Europe.  Acta Psychiatrica Scandinavica. 2001;  104 (Suppl. No. 410) 1-109
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  • 08 Ramseyer F, Genner R, Brenner H Hrsg.. Die Schweizer Psychiatrieversorgung im Internationalen Vergleich – Berner Gespräche zur Sozialpsychiatrie.  edition8 2006: http://dnb.ddb.de
  • 09 Frick U, Rössler W Die Gesundheitsversorgung der Schweiz im internationalen Vergleich: Regiert Geld die Welt?. In: Ramseyer, et al Die Schweizer Psychiatrieversorgung im Internationalen Vergleich – Berner Gespräche zur Sozialpsychiatrie. edition8 2006: 78-92
  • 10 Melchinger H, Holler G, Horn A, et al. Integrative Psychiatrische Behandlung (IPB) als neue Form psychiatrischer Krankenhaus-Akutbehandlung ohne Bett – Ergebnisse eines Modellprojektes am Alexianer-Krankenhaus Krefeld. Reihe Bundesmodellprojekte Psychiatrie des Bundesgesundheitsministeriums 2003
  • 11 Bechdolf A, Skutta M, Horn A Prozesskosten – Wirksamkeit und direkte Kosten multiprofessioneller gemeindepsychiatrischer Akutbehandlung. In: Kirchner H, Kirchner W, Hrsg. Management im Krankenhaus. Erste Hilfe für leitende Ärztinnen und Ärzte Stuttgart: Thieme; 2008
  • 12 Becker T, Hoffmann H, Puscher B, et al. Versorgungsmodelle in der Psychiatrie und Psychotherapie. Stuttgart: Kohlhammer; 2008
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  • 19 Schmidt-Zadel R, Pörksen N, Heinz A Aktion Psychisch Kranke Hrsg.. Die Zukunft der Suchtkrankenhilfe in Deutschland – Von der Person zur integrierten Hilfe im regionalen Verbund. Bonn: Psychiatrie-Verlag; 2009
  • 20 Fegert J M. Führt der Weg zum Jugendamt der Zukunft über §35a SGB VIII als Einstieg zur "großen Lösung"?.  JAmt/ZKJ. 2010;  Heft 7-8 267-274
  • 21 Kunze H. Psychosomatische Krankenhausbehandlung und Reha: Plädoyer für zukunftsfähige Konzepte.  Die BKK. 2008;  2 108-113
  • 22 http://www.aerzte-oegd.de/kongress/60_wissensch_kongress/vortraege/deister_regionalbudget.pdf (18.9.2010)
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  • 27 Kunze H , Schmidt-Michel P-O. Zur Erosion der Psych-PV und zukünftigen Finanzierung der Kliniken für Psychiatrie und Psychotherapie.  Nervenarzt. 2007;  78 1460-1464
  • 28 Kunze H, Kukla R. Chancen für die Psychiatrie – Die Entwicklung des Entgeltsystems nach § 17d aus Sicht von Akteuren und Betroffenen.  f&w. 28 (im Druck)
  • 29 Kunze H. Personenbezogene Behandlung in psychiatrischen Kliniken und darüber hinaus – Gute Praxis und Ökonomie verbinden.  Psychiat Prax. 2007;  34 145-154
  • 30 Kauder V Aktion Psychisch Kranke Hrsg.. Personenzentrierte Hilfen in der psychiatrischen Versorgung. Arbeitshilfen 11. Bonn: Psychiatrie-Verlag; 1997
  • 31 Aktion Psychisch Kranke Hrsg.. 25 Jahre Psychiatrie-Enquete Band 1. Bonn: Psychiatrie-Verlag; 2001
  • 32 Schmidt-Zadel R, Kunze H Aktion Psychisch Kranke Hrsg.. Unsere Zukunft gestalten – Hilfen für alte Menschen mit psychischen Erkrankungen, insbesondere Demenz. Bonn: Psychiatrie-Verlag; 2007
  • 33 Aktion Psychisch Kranke (Hrsg.). Psychisch kranke alte und demente Menschen (PAD): Organisation und Finanzierung von personenzentrierten Hilfen (Projektbericht). Bonn: Psychiatrie-Verlag; 2009
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