DO - Deutsche Zeitschrift für Osteopathie 2011; 9(03): 6-7
DOI: 10.1055/s-0030-1271128
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Karl F. Haug Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG Stuttgart

Im Gespräch mit Daryl Herbert

Peter Wührl
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Publication Date:
05 July 2011 (online)

Daryl Herbert war lange Jahre Assistent von Laurie Hartman, mit dessen Minimal Lever Approach – eine nur mit kurzen Hebeln arbeitende Manipulationstechnik – er sich intensiv beschäftigt hat und die heute das Herzstück seines Unterrichts ausmacht. Er unterrichtet weltweit Kurse in osteopathischer Manipulation. Seit 1998 ist er im Ausbildungsprogramm der Schule für klassische osteopathische Medizin (SKOM) integriert. Seine auf Feingefühl setzende Manipulationstechnik ist ein Lichtblick für all jene, die beim Manipulieren immer noch spüren wollen, was sie tun und wie das Gewebe reagiert. Damit hat er vielen, die an sich oder am Sinn osteopathischer Manipulation zweifelten und verzweifelten, eine Tür zu diesem wertvollen osteopathischen Werkzeug geöffnet.

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Abb. 1 Daryl Herbert lebt mit seiner Frau und seinen 3 Töchtern in London. Er praktiziert seit 20 Jahren als Osteopath – inzwischen in einem eigenen Zentrum im Norden Londons. Er ist zudem Dozent an der British School of Osteopathy (BSO) in London.

Dein Vater ist Mediziner und leitete eine hausärztliche Praxis. Welchen Einfluss hatte das auf Deine Entscheidung, Osteopath zu werden? Hast Du Dich mit ihm über die unterschiedlichen philosophischen Hintergründe auseinandergesetzt?

Ursprünglich wollte ich ebenfalls Medizin studieren, doch meine Examensnoten ließen das leider nicht zu. Als ich dann von Osteopathie erfuhr, war mein Interesse sofort geweckt. Mein Vater und ich haben häufig über einzelne Fälle und verschiedene Aspekte der klinischen Medizin diskutiert. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass ich mit der Osteopathie mehr Patienten helfen könnte als die klinische Medizin es vermag. Die meisten Ärzte hier in Großbritannien kennen die Osteopathie nur als Methode zur Behandlung von Störungen des muskuloskelettalen Systems.

Du leitest eine große Privatpraxis, unterrichtest an der British School of Osteopathy (BSO) in London und bist häufig als Gastlehrer in Europa und Nordamerika unterwegs. Wie gelingt es Dir, Dich zu entspannen und Zeit für Deine Familie zu finden?

Wenn ich zu Hause bin, versuchen wir natürlich, möglichst viel Zeit miteinander zu verbringen und gemeinsam etwas zu unternehmen. Vor allem aber liegt uns sehr viel daran, den Urlaub so zu verbringen, dass wir alle Spaß daran haben.

Du lehrst schon seit einiger Zeit an der BSO. Was ist dort Dein derzeitiges Aufgabengebiet?

Im Abschlussjahr spezialisieren sich die Studenten und belegen 2–3 Kurse für Fortgeschrittene. Im Moment biete ich Advanced Spinal Manipulation als Wahlfach für diese Studenten an. Der Kurs dauert 10 Wochen. Ich lehre Minimal Lever Manipulation auf eine Weise, die sie vorher noch nicht kennengelernt haben, und ich versuche, ihnen neue Ideen in Bezug auf die Manipulationsbehandlung im klinischen Umfeld zu vermitteln.

Deine Vorgehensweise bei der Manipulationsbehandlung wurde stark durch Deine Zusammenarbeit mit Laurie Hartman beeinflusst. Wie kam es dazu?

Das war einfach Glück. Als ich meinen Abschluss machte, suchte Laurie gerade nach einem neuen Assistenten und ich wurde von einem anderen Lehrer vorgeschlagen. So kam ich zu ihm. Wir verstanden uns sehr gut, waren fast wie Vater und Sohn und ich habe viele seiner Ideen und Vorgehensweisen übernommen. Laurie war es auch, der mich dazu brachte, Manipulationstechniken zu unterrichten.

Neben Gelenkmanipulation und Weichteiltechniken zählen auch viszerale und kraniale Osteopathie zu Deinen Interessengebieten. Wie ist Dein Standpunkt zu einer ganzheitlichen Vorgehensweise in der Osteopathie?

Ich glaube, dass die Osteopathie der Medizin und den Patienten viel zu geben hat. Viele Menschen sprechen von Ganzheitlichkeit, doch oft ist das nur aufgesetzt. Ganzheitlichkeit ist meiner Meinung nach eine Art zu denken und zu arbeiten, die unabhängig ist von Techniken, Stilen und Vorgehensweisen. Unser Problem ist, dass die Schulmedizin Nachweise in Form statistischer Daten fordert und leider haben wir solche Daten häufig nicht. Deshalb bin ich immer etwas beunruhigt, wenn manche Osteopathen zu esoterisch werden und von den Ebenen von Körper, Geist und Seele sprechen. Schließlich ist es oft schon schwierig genug, die physischen Auswirkungen einer Behandlung festzustellen!

Du bist Jude und Deine Familie emigrierte nach England. War es für Dich oder Deine Familie ein Thema, dass Du auch in Deutschland – in Berlin – unterrichtest?

Meine Familie kommt aus unterschiedlichen Teilen Europas: meine väterliche Linie stammt aus Litauen und die meiner Mutter aus Russland. Als ich zum ersten Mal nach Deutschland kam, fühlte sich das tatsächlich etwas merkwürdig an, doch dann hatte ich kein Problem mehr damit. Ich hatte noch nie irgendwelche Schwierigkeiten und habe viele gute und sogar ein paar sehr gute Freunde in Deutschland. Bei meiner Großmutter nehme ich immer ein Zögern wahr, wenn sie hört, dass ich zu einem Lehrauftrag nach Deutschland reise. Natürlich ging das ganze Holocaust-Thema ihrer Generation sehr viel näher. Was aber nicht heißen soll, dass ich nicht manchmal auch daran denke oder dass wir die Gräuel des Holocaust einfach vergessen sollten.

Arbeitest Du gerade an einem Buch?

Ja, ich plane ein Buch über Manipulationen. In meinem Kopf steht das Konzept schon, ich muss es nur noch niederschreiben.

Was sind Deine Pläne für die nächste Zukunft?

Ich möchte meine Vorgehensweise bei der Manipulation weltweit so vielen Osteopathen und Schulen wie möglich vermitteln und an der Integration all dessen arbeiten, was die Osteopathie zu bieten hat.

Du unterrichtest in ganz Europa und bist dort auch in den Prüfungskomitees vertreten. Wo steht Deiner Einschätzung nach die Osteopathie im Moment und wohin führt der Weg?

Es gibt verschiedene Stile und Herangehensweisen innerhalb der Osteopathie. Manche sind an bestimmte Lehrer (Gurus) geknüpft und werden zur Basis bestimmter Schulen und der von ihnen ausgebildeten Osteopathen. Viele Osteopathen bleiben nah bei ihren Wurzeln, während andere Neues aufnehmen und integrieren. Das ist gut so, denn für all das gibt es Bedarf. Es scheint jedoch so zu sein, dass jede Schule die eigene Form von Osteopathie verbreitet und möglichst viele Schüler dafür gewinnen möchte. Und im Moment scheint es der osteopathische Markt jedem zu erlauben, neue Techniken oder Therapiemethoden zu entwickeln, zu publizieren und zu lehren – oft ohne jegliche Grundlage, Prüfung oder Gültigkeitskontrolle. Wir müssen versuchen, allgemeine Richtlinien zu entwickeln, die von allen akzeptiert werden, damit sichtbar ist, dass die Osteopathie eine valide gemeinsame Grundlage hat. Ansonsten werden wir von anderen Systemen geschluckt und verloren gehen.

Vielen Dank für das Gespräch.