DO - Deutsche Zeitschrift für Osteopathie 2011; 9(02): 1
DOI: 10.1055/s-0030-1270785
DO | editorial
Karl F. Haug Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG Stuttgart

Editorial

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Publikationsdatum:
07. April 2011 (online)

E pluribus unum: Eintracht in Vielfalt

Liebe Leserinnen und Leser,

die kurze Entwicklungsgeschichte der Osteopathie hat einen wahrlich erstaunlichen Artenreichtum hervorgebracht. Manchmal kann man sich des Eindrucks kaum erwehren, dass die Variationsbreite der osteopathischen Spezies und die der gesellschaftlichen Wirkungsfelder der Osteopathie die gemeinsame Essenz der Osteopathie kaum noch ahnen lässt: Finden sich doch räucherstäbchengesättigte Heilpraxen neben Großpraxen mit fangovorbereiteter Kochrezept-Osteopathie, ärztliche Schnellschuss-Osteopathen und Personal-Trainer im osteopathischen Laufschritt, Mathematikwirbel-Einrenker und viszerale Ernährungsberater, Handwerker vor dem Herrn und feingeistige Energiearbeiter, Verschmelzungssüchtige und hinter breiten Tischplatten und Bücherwänden Schutzsuchende.

Der große Vorteil der osteopathischen Kultur (im Vergleich zur politischen Kultur) liegt darin, dass sie ihre Heterogenität lustvoll zelebriert und somit keine normative Integrationsdebatte zu erwarten ist. Denn solange, wie im Fall der Osteopathie, subkulturelle Identitätsbildung die Norm ist, wird der Versuch, einen gemeinsamen Geist zu etablieren, scheitern.

Doch die Renitenz gegen eine zentralistische Hegemonie, die einen Teil der osteopathischen Identität ausmacht, hat auch eine Kehrseite: Richtungskämpfe werden nicht offen und sachbezogen ausgetragen; Wahrheiten werden durch gruppenspezifische Zugehörigkeitsgesten gegen Kritik immunisiert; im Schutzraum der Selbstabgrenzung droht die Angst vor Infragestellung und Ausgrenzung bisweilen in Arroganz und Glaubensgewissheit umzuschlagen. Dann erhält sich die Artenvielfalt auch durch bockiges Festhalten an eingefahrenen Positionen und Standesdünkel.

Insofern mögen die Forderung nach einer kritischen Selbsthinterfragung und der Hinweis auf die dringend nötige Selbstintegrationsdebatte Irritationen hervorrufen. Dies wäre wohl nicht so, wäre die nonkonformistische Vielfalt in eine aufgeräumte und aufgeklärte innerosteopathische Diskussion eingebettet. Der osteopathischen Artenvielfalt fällt es jedoch schwer, den gemeinsamen Kern und die gemeinsame Peripherie immer wieder konstruktiv infrage zu stellen und so Widersprüche offenzulegen und zu thematisieren. Möglicherweise fehlt uns nur ein sicherer und stabiler Rahmen, um diese Diskussion mit offenem Ausgang in kollegialem Respekt und vorbehaltloser Offenheit zu führen.

Der Prozess der Selbstintegration der Osteopathie braucht die Bereitschaft zum Grenzgängertum; er braucht „Mehrsprachigkeit“ für die verständnisvolle Evolution einer gemeinsamen Fachsprache. Doppelstaatsbürgerschaften sowie Verheiratungen und Verflechtung über die Grenzen der eigenen (osteopathischen) Lebenswelt hinweg sind gefragt.

Die Herausgeber