Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2011; 46(1): 48-59
DOI: 10.1055/s-0030-1270559
Fachwissen
AINS-Topthema: Anästhesiezwischenfälle
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Anästhesiezwischenfälle – Juristische Bewertung von Anästhesiezwischenfällen / Juristisches Zwischenfallmanagement

Incidents in anaesthesia – Legal evaluation of incidents in anaesthesia/Legal management of incidents in anaesthesiaElmar Biermann, Rolf-Werner Bock
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Publication Date:
17 January 2011 (online)

Zusammenfassung

Meint ein Patient, aufgrund einer medizinischen Behandlung einen Schaden erlitten zu haben, muss die „Behandlerseite” mit zivil- und strafrechtlichen Konsequenzen rechnen. Doch damit nicht genug: Wegen desselben Sachverhaltes kann auch ein berufsgerichtliches Verfahren eingeleitet und u.U. das Ruhen oder der Widerruf der Approbation angeordnet werden. Auch arbeitsrechtliche Konsequenzen (Abmahnung, Kündigung) sind möglich. Während es im zivilrechtlichen Haftungsprozess, in dem es um einen finanziellen Ausgleich geht, aufgrund von Beweiserleichterungen zugunsten des Geschädigten eher zu einer Verurteilung der Beteiligten (Ärzte, Krankenhausträger) kommt, gibt es solche Beweiserleichterungen in einem neben dem Zivilverfahren und grundsätzlich unabhängig davon drohenden strafrechtlichen Verfahren nicht. Im Strafverfahren gilt der Grundsatz: „in dubio pro reo”. Für die Betroffenen ist es unerlässlich und es gehört im Übrigen zum Qualitätsmanagement in Klinik und Praxis, den Ablauf eines Zivil- und Strafverfahrens in den Grundzügen zu kennen und zu einem Zwischenfall das juristische Management zu beherrschen. In diesem Zusammenhang mag es eine Gratwanderung sein, auf der einen Seite kein Schuldanerkenntnis abzugeben, den Patienten aber gleichwohl so zu informieren, dass eine notwendige Weiterbehandlung gesichert ist. Die adäquate Kommunikation nach einem Zwischenfall, das zeitnahe Gesprächsangebot und die sorgfältige Vorbereitung des Gesprächs sind ebenso wichtig wie eine sorgfältige Dokumentation und ein darüber hinausgehendes, persönliches, von den Krankenunterlagen zu trennendes Gedächtnisprotokoll. Eine vollständige Dokumentation verlangt u.U. als solche kenntlich gemachte Nachträge; schriftliche Stellungnahmen an Krankenhausträger und Haftpflichtversicherer sollten auf das unbedingt Notwendige und die objektive Darstellung des Sachverhaltes begrenzt sein, da Beschlagnahme droht. Nur wer die Einsichtsrechte des Patienten beachtet, seine eigenen Rechte und Pflichten als Zeuge bzw. Beschuldigter kennt, kann im Umgang mit dem geschädigten Patienten und dessen Angehörigen, seiner eigenen Haftpflichtversicherung und mit seinem Anwalt nach einem Zwischenfall adäquat agieren.

Abstract

If a patient believes that he/she has suffered injury because of a medical treatment the treating party must expect to be subject to civil and criminal consequences. But this is not all: for the same reasons professional ethics proceedings may also be initiated and, among others, lead to a suspension or cancellation of the right to practice medicine. Consequences of industrial law (warning, notice of dismissal) are also possible. Whereas the civil liability process is usually concerned with a financial compensation and the facilitation of evidence generally leads to conviction of the participants (physicians, hospital management), there is no such evidence facilitation in the possible and independent criminal proceedings. The principle “in dubio pro reo” is generally applied in criminal law. It is essential for the affected parties and, in general, as a part of quality management in clinic and practice, to have a good knowledge of the basic steps of civil and criminal proceedings and to be fully able to cope with the legal management of an incident. In this context, it may be a balancing act, on the one hand, not to admit any guilt but also, on the other hand, to inform the patient that any necessary further treatment is guaranteed. Appropriate communication after an incident and the comprehensive preparation of a consultation are just as important as a complete documentation and additional personal minutes taken from memory which should be kept separate from the patient records. A complete documentation requires that, among others, later additions are clearly marked as such; written positions from the hospital management and the hospital's insurance should be limited to the absolute minimum necessary for an objective representation of the incident since they may be liable to seizure. Only a person who observes the patient's right of inspection, who knows his/her own rights and responsibilities as witness or, respectively, defendant, can behave appropriately in dealings with the patient and relatives, with his/her own liability insurance and with his/her legal advisors after such an incident .

Kernaussagen

  • Rechtliche Konsequenzen eines Zwischenfalls setzen die „juritische Trias“ voraus:

    • Sorgfaltspflichtverstoß auf Seiten des Arztes,

    • Schaden auf Seiten des Patienten und

    • Ursachenzusammenhang (Kausalzusammenhang) zwischen dem ärztlichen Fehlverhalten und dem Schaden des Patienten.

  • Der Zwischenfall kann sowohl in einen zivilrechtlichen Haftungsprozess als auch in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren verhandelt werden. Beim Zivilprozess ist der Patient als Kläger „Herr des Verfahrens“. Im Strafverfahren hingegen ermittelt der Staat von Amts wegen.

  • Grundsätzlich muss zunächst der Kläger den Beweis für einen Sorgfaltspflichtverstoß erbringen. Beim Zivilprozess jedoch kann die Beweislast auch auf den Arzt bzw. den Krankenhausträger verlagert werden (Umkehr der Beweislast).

  • Der Versicherungsfall muss unverzüglich der Haftpflichtversicherung gemeldet werden. Diese hat daraufhin die sog. Regulierungsvollmacht und kann alle zur Schadensregulierung notwendigen Maßnahmen weisungsfrei vornehmen.

  • Um vor allem in der Anfangsphase nach dem Eintritt eines Zwischenfalls richtig zu reagieren, sollten Kliniken und Praxen grundlegende Verhaltensregeln im Sinne eines „juristischen Notfallkoffers“ etablieren. Diese betreffen u. a.

    • die Vermeidung von Schuldanerkenntnissen,

    • eine adäquate Kommunikation mit dem Patienten,

    • die Anfertigung eines persönlichen Gedächtnisprotokolls,

    • Informationspflichten und schriftliche Stellungnahmen,

    • den Umgang mit den Behandlungsunterlagen,

    • das Verhalten bei Sicherstellungsmaßnahmen,

    • die Schadensregulierung,

    • Rechte und Pflichten als Zeuge bzw. Beschuldigter sowie

    • der Umgang mit den Medien.

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Literaturverzeichnis

Dr. iur. Elmar Biermann
Rolf-Werner Bock

Email: justitiare@bda-ev.de

Email: berlin@uls-frie.de

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