Suchttherapie 2010; 11 - S1
DOI: 10.1055/s-0030-1270124

Langzeitverschreibung von Benzodiazepinen – zwei Seiten einer Medaille

J Brack 1, W Unglaub 2
  • 1Praxis für Neurologie und Psychiatrie, Institut für Forensische Psychiatrie und Suchtmedizin (IFPS), Hamburg
  • 2Bezirksklinikum Regensburg

Die Verordnung von Benzodiazepinen muss bestimmten Regeln und vor allem Zielen unterliegen. Wir sollten uns dabei nicht von den Krankenklassen und der herrschenden Ideologie leiten lassen, dass die Verordnung von Benzodiazepinen über einen längeren bis langen Zeitraum grundsätzlich zu verdammen ist. Wir sollten uns vielmehr am Patienten orientieren und nicht alle Patienten, die Benzodiazepinen verlangen oder verordnet bekommen über einen Kamm scheren. Ansonsten erinnert das Ganze fatal an die frühere Verteufelung von Methadon bzw. der Substitutionsmittel, die doch nur die Abhängigkeit des Patienten verlängern würde und den Arzt als Dealer diffamierte. Es gibt aus meiner langjährigen klinischen und jetzt aus der Sicht eines niedergelassenen Psychiaters und Suchtmediziners Patienten bei denen man nicht um die Langzeitverschreibung von Benzodiazepinen herum kommt. Diese Patienten leiden z.B. unter langjährigen Angsterkrankungen oder auch Depressionen und haben alle gängigen Psychopharmaka ohne wesentlichen Erfolg verordnet bekommen, profitieren jedoch ganz erheblich von der Verordnung von Benzodiazepinen, insbesondere was die Lebensqualität angeht. Erst durch die zum teil langjährige Verordnung der Benzodiazepine sind sie aktions- und handlungsfähig und können den Alltag ohne wesentliche psychischen Symptome bewältigen. Die positive Wirkung der Benzodiazepine darf dabei nicht einfach außer Betracht gelassen werden, nur weil diese eine Abhängigkeit verursachen können.

Auch im Bereich der drogenabhängigen Patienten gibt es bekanntermaßen eine sehr hohe Komorbidität, insbesondere von Depressionen, Angsterkrankungen und vor allem Persönlichkeitsstörungen. Auch in diesem Bereich lassen sich drogenabhängige Patienten finden, die durch die Langzeitverordnung von Benzodiazepinen erheblich profitieren und mit ihrer Sucht leben bzw. Überleben mit einer gewissen Lebensqualität und nicht ständig zur Entgiftung ins Krankenhaus eingewiesen werden müssen.

Die Langzeitverschreibung von Benzodiazepinen ist im Übrigen auch nicht verboten, auch wenn Fachgesellschaften eine zeitliche Begrenzung der Verordnung von Benzodiazepinen empfehlen, jedoch eine grundsätzliche Ächtung vermeiden. Unbestritten ist dabei, dass die Langzeitverordnung von Benzodiazepinen Hirnschädigungen im Bereich der Kognition und des Gedächtnissen hervorrufen kann, jedoch nicht bei jedem der Patienten muss. Interessanterweise kommt es bei vielen dieser Patienten nicht zu einer Dosissteigerung, aber natürlich einer Abhängigkeit bzw. die Abhängigkeit wird beibehalten. Fast alle Patienten, die zu mir in die Praxis kommen, weisen im Übrigen schon eine Benzodiazepinabhängigkeit auf! Diese Patienten dürfen eben gerade nicht abgewiesen werden, sondern müssen in die ärztliche Behandlung aufgenommen werden. Dazu gibt es keine Alternative, denn Abweisen bedeutet den Patienten mit seinem Problem, weswegen er sich an einen Arzt/Ärztin gewandt hat, alleine zu lassen und dem „Schwarzmarkt“ mit den damit verbundenen hohen Risiken zu überlassen. Die Aufnahme eines Patienten, der ein Benzodiazepinproblem aufweist, in die ärztliche Behandlung bedeutet nicht den therapeutischen Nihilismus walten zulassen, sondern es müssen dann mit dem Patienten Ziele und Regeln der Behandlung erarbeitet werden. Dieses bedeutet vor allem Motivationsarbeit sich mit seiner Abhängigkeit auseinanderzusetzen und Schritte aus der Abhängigkeit heraus zu versuchen. Im Übrigen ist es in diesem Zusammenhang kein Weg Privatrezepte zur Verordnung von Benzodiazepinen auszustellen, was gegen die ärztliche Berufsordnung verstößt, und das Problem in keiner Weise lösen hilft.