Geburtshilfe Frauenheilkd 2010; 70 - A3
DOI: 10.1055/s-0030-1269961

Neue Grippe – Verlauf und Ausblick

J Hacker 1
  • 1Berlin-Wedding

Die H1N1-Grippe steht derzeit im Mittelpunkt des Interesses. Die Influenza A-Viren gehören zur Familie der Orthomyxoviridae. Es handelt sich um den umhüllten Negativstrang von RNA Viren. Insgesamt sind bisher 11 virale Proteine beschrieben. Die Influenza A Viren haben ein breites Wirtsspektrum zu denen Wasservögel, Hausgeflügel, Schweine, Pferde, Meeressäuger und der Mensch zählen. Es gibt zahlreiche Typen und Subtypen der Influenzaviren allein beim Menschen. Influenzaviren können Gensegmente austauschen, so dass humanpathogene Stämme und tierpathogene Stämme zu Virus-Reassortanten führen. Speziell das Virus der neuen Grippe H1N1 ist ein sehr komplexes Neukonstrukt, welches Eigenschaften gering pathogener Influenzaviren besitzt. Mutationen oder Reassortierungen können jedoch zu erhöhter Pathogenität führen. Sequenzanalysen zeigen eine genotypische Sensitivität gegenüber Neuraminidase-Inhibitoren wie Tamiflu® oder Relenza®, aber auch eine Resistenz gegen Amantadin® – einen M2-Ionenkanal-Hemmer. Betrachtet man vergleichend einige epidemiologische Charakteristika, so zeigt sich, dass die saisonale Influenza eine Inkubationszeit von 1,4–1,7 Tagen hat, während die neue Influenza H1N1 1–2 Tage Inkubationszeit aufweist. Die Virusausscheidung bei der saisonalen Influenza beträgt 2–5 Tage, bei der H1N1 Influenza 3–7 Tage. Bezüglich der Krankheitsdauer besteht zwischen beiden Erkrankungen mit 5–7 Tagen kein Unterschied. Am 20.01.2010 gab es 189 Todesfälle im Zusammenhang mit Risikofaktoren. Bereits am 19.01.2010 wurden innerhalb der EU verschiedene Zahlen von Todesfällen durch H1N1 berichtet, wobei die Schwerpunkte in Spanien, Frankreich, Großbritannien, Deutschland, Italien, Polen und Bulgarien lagen, während Griechenland, Österreich, Rumänien, die Baltischen Staaten sowie die Skandinavischen Länder inklusive Holland, Belgien und Luxemburg sowie Irland geringe Zahlen aufwiesen. Gegenüber der pandemischen Influenza H1N1 wurden in Rekordzeit Impfstoffe entwickelt, bekannt sind die Präparate: Pandemrix als Spaltimpfstoff (adjuvantiert) sowie Forcetria, Celtura und Celvapan (Ganzzell-Impfstoff, nicht adjuvantiert) aber auch Afluria als Spaltimpfstoff, der nicht adjuvantiert ist. Der saisonale Influenza-Impfstoff wird jede Saison neu von der WHO in seiner Zusammensetzung empfohlen. Er enthält Bestandteile von 3 Virusstämmen, so der Influenza A (H1N1), der Influenza A (H3N2) und der Influenza B.

Der Impfstoff besteht aus gespaltenem, also nicht lebensfähigem Virus. Eine Stellungnahme zur Influenza-Surveillance wurde im Epidemiologischen Bulletin des Robert-Koch-Institutes am 19.10.2009 (siehe www.rki.de) publiziert, die Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) gingen am 14.12.2009 in die Öffentlichkeit (ebenda). Dabei wurde empfohlen, dass eine Impfung gegen H1N1 in Abhängigkeit von der Verfügbarkeit der Impfstoffe in folgender zeitlicher Reihenfolge stufenweise erfolgen soll:

  • Beschäftigte im Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege mit Kontakt zu Patienten oder infektiösem Material.

  • Personen ab einem Alter von 6 Monaten mit erhöhter gesundheitlicher Gefährdung infolge eines Grundleidens, wie zum Beispiel: chronische Erkrankungen der Atmungsorgane, chronische Herz-Kreislaufkrankheiten, chronische Leber- und Nierenkrankheiten, Malignome, Diabetes mellitus und andere Stoffwechselkrankheiten, neurologische und neuromuskuläre Grunderkrankheiten, angeborene oder erworbene Immundefekte mit T- oder B-zellulärer Restfunktion, HIV-Infektion.

  • Schwangere (vorzugsweise ab dem 2. Trimenon) und Wöchnerinnen.

  • Haushaltskontaktpersonen, die eine mögliche Infektionsquelle für ungeimpfte Risikopersonen (besonders Säuglinge unter 6 Monaten, Indikationsgruppen unter 2. und 3.) sein können.

  • Alle übrigen Personen im Alter von 6 Monaten bis 24 Jahren

  • Alle übrigen Personen im Alter von 25 bis 59 Jahren

  • Alle übrigen Personen ab 60 Jahre

Die STIKO weist darauf hin, dass die Impfung gegen die neue Influenza A (H1N1) wie alle Impfungen nach individueller Nutzen-Risiko-Abwägung vorgenommen werden soll. Das gilt insbesondere für chronisch Kranke, Kinder und Schwangere. Das Paul-Ehrlich-Institut und das Robert-Koch-Institut haben für die Impfung gegen die neue Influenza A (H1N1) Empfehlungen bezüglich der notwendigen Dosierung zum Erreichen einer protektiven Immunität herausgegeben. Die besagt, dass Kinder von 6 Monaten bis 9 Jahren eine ½ Erwachsenendosis (0,25ml) erhalten sollten, während Personen ab 10 Jahren eine ganze Erwachsenendosis (0,5ml) indiziert bekommen sollen. Dies bezieht sich auf den Influenza-Impfstoff Pandemrix®. Die STIKO ist sich der komplexen Problematik der Impfung in der Schwangerschaft bewusst. Schwangere können mit einem adjuvantierten wie auch mit einem nicht adjuvantierten Impfstoff geimpft werden. Grundsätzlich bestehen bei keiner der beiden Impfstoffvarianten Sicherheitsbedenken. Da jedoch nur mit nichtadjuvantierten (saisonalen) Influenza-Impfstoffen umfangreichere Erfahrungen bei Schwangeren vorliegen, sollten diese bis zum Vorliegen weiterer Daten vorzugsweise mit einem nichtadjuvantierten Impfstoff geimpft werden. Schwangere haben ein höheres Risiko als andere Bevölkerungsgruppen, bei einer Influenza-Infektion schwer zu erkranken. Das gilt für die saisonale Influenza und galt in besonderem Maße für die Influenzapandemien 1918/19 und 1957/58. Nach einer Studie des US-amerikanischen Centers CDC erscheint dies auch für die sogenannte neue Grippe zuzutreffen. Diese Auffassung wird von der entsprechenden Europäischen Institution (European Centre for Disease Control and Prevention) geteilt. Auf Empfehlung des Paul-Ehrlich-Instituts (www.pei.de) startete die Embryonaltoxikologie Berlin eine Impf-Surveillance und Beratung für Schwangere. In Deutschland wird erstmals eine Grippeimpfung in der Schwangerschaft explizit empfohlen. Im Rahmen dieses bundesweiten Projektes wird allen Schwangeren angeboten, sich im Berliner Pharmakovigilanz-Zentrum für Embryonaltoxikologie registrieren zu lassen. Gleichzeitig wird eine umfassende Beratung offeriert, auch zu anderen Medikamenten und deren Risiken. Die Beratung ist unabhängig von der Teilnahme am Überwachsungsprojekt. Die Informationen über die neue Grippe H1N1 sind in den einschlägigen Internetseiten aber auch durch die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (www.dggg.de) mit dem Robert-Koch-Institut (www.rki.de) abgestimmt worden.

Literaturempfehlungen:

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  • Faber M, Christiansen H, Kohlstock C, Oppermann H, Irmscher HM, Willer H, Schweiger B, Dupke S, Klee S, Grunow R, Haas W, Buchholz U, Süss T, Krause G, Jansen A; Influenza A/H1N1-Untersuchungsteam des Robert Koch-Instituts (2009) [Investigation of a family cluster of influenza A/H1N1 infections in Germany, 2009]. Gesundheitswesen 71: 675–679.

  • Krause G, Gilsdorf A, Becker J, Bradt K, Dreweck C, Gärtner B, Löwer J, Marcic A, Nicoll A, Pott E, Schaade L, Schoeller A, Stollorz V, Träder C, Razum O (2010): [First exchange of experiences concerning the H1N1 pandemic in Germany 2009/2010: report on a workshop held March 22–23, 2010, in Berlin]. Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz 53: 510–519.

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  • Vajo Z, Tamas F, Sinka L, Jankovics I (2010) Safety and immunogenicity of a 2009 pandemic influenza A H1N1 vaccine when administered alone or simultaneously with the seasonal influenza vaccine for the 2009–10 influenza season: a multicentre, randomised controlled trial. Lancet 375: 49–55.

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