PPH 2010; 16(6): 287
DOI: 10.1055/s-0030-1268784
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„Was, Du arbeitest in der Psychiatrie? Das könnte ich ja nicht.”

Bruno Hemkendreis
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Publication Date:
30 November 2010 (online)

Bruno’s Welt

Ich weiß nicht, wie oft ich diesen Spruch schon gehört habe. Manchmal empfinde ich ihn als Kompliment oder Anerkennung, manchmal klingt er wie: „Was, Du fasst Frösche an?” Jedenfalls trifft er recht gut das Spannungsfeld, in dem psychiatrisch Pflegende sich bewegen. Das Bild, das die Öffentlichkeit von psychiatrischen Erkrankungen hat, bestimmt auch das Bild der psychiatrischen Pflege in eben dieser Öffentlichkeit.

Vieles hat sich im Laufe der letzten 40 Jahre verbessert. Aus dem Irrenpfleger wurde ein Gesundheits- und Krankenpfleger oder ein Bachelor, ein Master der Pflegewissenschaften. In den 70er und 80er Jahren gab es durch die Bewegungen der Sozialpsychiatrie und der Antipsychiatrie eine große Emanzipationswelle psychisch Kranker. Parallel dazu erlebte die psychiatrische Pflege eine Aufwertung ihrer Profession. So schrieb beispielsweise der damalige ärztliche Direktor unserer Klinik einen Brief an Berufsanfänger im ärztlichen Bereich mit dem Tenor: „Das psychiatrische Krankenhaus gehört den Schwestern und Pflegern”.

Diese Zeit war geprägt durch die Sichtweise, dass psychische Erkrankungen auch ein gesellschaftlich bedingtes Phänomen sind, und die Gesellschaft deshalb bestrebt sein muss, psychisch Kranke zu integrieren.

Die Entwicklung atypischer Neuroleptika und erfolgversprechende Ergebnisse der Hirnforschung prägten die 1990er Jahre. Damit befand sich die biologistische Psychiatrie wieder auf der Überholspur und die psychiatrische Pflege ließ sich mancherorts auf medizinische Assistenzaufgaben zurückdrängen.

Weder Hirnforschung noch neue Medikamente brachten den erhofften Durchbruch, und die wirtschaftlichen Einbrüche des neuen Jahrtausends drängten die Ökonomen an das Ruder der Kliniken.

In der bewegten Geschichte der Psychiatrie befinden wir uns damit in einer völlig neuen Situation. In der Vergangenheit wechselten sich religiöse, pädagogische, medizinische, soziologische und philosophische Grundlagen psychiatrischer Arbeit ab. Der wirtschaftliche Hintergrund der aktuellen psychiatrischen Ausrichtung birgt den Vorteil, dass überprüft wird, welche Interventionen und Maßnahmen überhaupt wirksam und sinnvoll sind. Den oftmals unwürdigen ideologischen Streitereien zwischen den psychiatrischen Konfessionen wird damit ein Ende gesetzt.

Aber: der ökonomische Ansatz birgt die Gefahr, utilitaristisches Gedankengut aus dem Anfang des 20en Jahrhunderts, welches im Sozialdarwinismus der NS-Diktatur seinen Höhenpunkt erlebte, neu zu beleben.

Es wird heute auf Grund ökonomischer Zwänge wieder sortiert: welche Maßnahmen lohnen sich, welche Patientengruppen lohnen sich. Der feine, aber wichtige Unterschied zwischen dem, was wirkt und sinnvoll ist, und dem, was sich lohnt oder nicht lohnt, darf keinesfalls verwischt werden. Es ist unsere Aufgabe als psychiatrisch Pflegende, diese Grenze zu bewahren und zu verteidigen – stellvertretend für die Patienten, die sich uns anvertrauen oder anvertrauen müssen, aber auch für unser eigenes Selbstverständnis.

Denn jemandem, der Frösche anfasst, gibt man nicht gerne die Hand.

Bruno Hemkendreis

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