Dialyse aktuell 2010; 14(7): 373
DOI: 10.1055/s-0030-1267373
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© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Shuntchirurgie erfordert substratbezogene

Gerhard Krönung
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
20. September 2010 (online)

Jahrzehntelang fristete die Shuntchirurgie ein Schattendasein innerhalb der Gefäßchirurgie. Dies hat sich gemessen an der Zahl der Vorträge, Veröffentlichungen und Leitlinien zwar geändert, weitgehend geblieben ist jedoch die Darstellung der Shuntchirurgie aus arterienchirurgischer Sicht. Damit geht das entscheidende, eigenständige Charakteristikum der Shuntchirurgie als einer induktiven Prozesschirurgie gegenüber der Arterienchirurgie als einer reparativen Ereignischirurgie verloren – oder präziser: Es wird gar nicht erst entdeckt.

In der Arterienchirurgie erfolgt die geplante Reparatur/Rekonstruktion von Struktur und/oder Funktion innerhalb des operativen/interventionellen Ereignisses. Spätere Prozesse betreffen eher degenerative Veränderungen der Rekonstruktion oder ein Fortschreiten der Grunderkrankung und keine optimierenden Prozesse wie beim venösen Remodeling. In der Shuntchirurgie wird in der ersten Operation nichts repariert. Mit Anlage einer arteriovenösen Anastomose wird lediglich ein Prozess initiiert, der über eine Shuntvenenreifung (Remodeling) prozessual zu einer geeigneten Punktionsstrecke für die Hämodialyse führen kann. Geeignet im Sinne der Hämodialyse heißt:

oberflächlich kaliberkräftig ausreichende Förder- und Rücknahmekapazität

Geeignet im Sinne des Patienten heißt:

funktionell: kein Steal, keine zu große Herzbelastung, tolerabler Punktionsschmerz und akzeptable Abdrückzeit morphologisch (kosmetisch) tolerabel

Mit anderen Worten: Ziel der Shuntchirurgie ist die Induktion einer in der Evolution nicht vorgesehenen Struktur mit den oben beschriebenen dezidierten morphologischen und funktionellen Erfordernissen. Zur Verfügung stehen ein individuell variabel limitierter Material-(Venen-)Pool und differenzierte shuntchirurgische Techniken. Eine prometheische Aufgabe, die, wenn überhaupt, nur mit einer konsequent substratbezogenen Vorgehensweise zu lösen ist. Damit wird die kausale und formale Pathogenese des Remodelings der beteiligten Gefäße, insbesondere das der Shuntvene, von zentraler Wichtigkeit für eine erfolgreiche Shuntchirurgie. Die Ausführungen zur nachgeschalteten Stenose beleuchten einen wichtigen Aspekt dieses Remodelings, die druckinduzierte hypertrophe Dilatation (Plusentgleisung) der Shuntvene.

Der bei jedem Patienten individuell mehr oder weniger limitierte Venenpool erzwingt für eine nachhaltige lebenslange Shuntplanung die vollständige topografische Darstellung und Dokumentation dieses Venenpools als Landkarte an beiden Armen vor dem Ersteingriff. Genauso erzwingen die permanenten Remodelingprozesse deren chronologische Dokumentation: So steht der aktuelle Status des derzeit benutzten Shunts und/oder des verbliebenen Venenpools bei einer notwendigen Intervention/Revision für eine nachhaltige Indikation genauso zur Verfügung, wie beim Ersteingriff. Ein wichtiger Nebeneffekt der dargestellten (oder einer ähnlichen) Dokumentation sind zunehmende Kenntnisse über das Remodeling, die den Umgang mit der "Prozessstruktur" Shuntvene weiter verbessern werden.

Prof. Dr. Gerhard Krönung