Gesundheitswesen 2010; 72 - V153
DOI: 10.1055/s-0030-1266333

Erwartete Effekte der vaginalen pH-Selbstmessung zur Verhinderung von Frühgeburten bleiben aus

A Schneider 1, E Siegmund-Schultze 2, P Wenzlaff 3, U Hoyme 4, E Bitzer 5
  • 1Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitssystemforschung (ISEG), Hannover
  • 2KKH-Allianz, Hannover
  • 3Zentrum für Qualität und Management im Gesundheitswesen (ZQ), Hannover
  • 4Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, HELIOS Klinikum, Erfurt
  • 5Pädagogische Hochschule Freiburg, Freiburg

Hintergrund: Im Rahmen des 28-monatigen Modellprojekts der vier Ersatzkassen (KKH-Allianz, BEK, TK, HMK) werden Analysen zur Effektivität und Effizienz der vaginalen pH-Selbstmessung während der Schwangerschaft vorgestellt. Verglichen werden Schwangere mit Testkit-Anforderung mit einer Kontrollgruppe aus Schwangeren ohne Testkit-Anforderung. Berichtet werden Ergebnisse zum Geburts-Outcome „Frühgeburtenrate“ (<37+0 SSW, <32+0 SSW) und zum ökonomischen Outcome „Versorgungskosten“ (Krankenhausbehandlungen, Arzneimittelverordnungen, Krankengeld während Schwangerschaft, Entbindung, einjährigem Nachbeobachtungszeitraum). Der Einfluss potentieller Wirkfaktoren (Qualität der Intervention und der medikamentösen Behandlung) wird diskutiert. Methoden: Datengrundlage sind pseudonymisierte Krankenkassendaten, Daten der Qualitätssicherung Geburtshilfe/Perinatalerhebung sowie Testergebnisse der pH-Selbstmessung. Der Selbstselektionsbias (in der Untersuchungsgruppe statistisch-signifikant häufigere Risikofaktoren für Frühgeburtlichkeit) wurde berücksichtigt über: (1) 1:n-Propensity-Score-Matching, (2) multivariate Adjustierung. Einbezogene Merkmale sind u.a. Alter und Familienstand, Anzahl vorausgegangener Schwangerschaften und deren Ausgang (z.B. Frühgeburt) sowie Risikomerkmale der aktuellen Schwangerschaft (z.B. Mehrlinge, In-Vitro-Fertilisation). Ergebnisse: Insgesamt gehen Daten zu 149.082 Geburten aus den fünf beteiligten Bundesländer in die Analysen ein. 18.857 Schwangere haben ein Testkit angefordert, 7.469 ihre Messergebnisse dokumentiert. Entgegen den Erwartungen lässt sich keine statistisch-signifikante Reduktion der Frühgeburtenrate für Schwangeren mit Testkit-Anforderung gegenüber der Kontrollgruppe nachweisen. Nach dem Matching liegt die Frühgeburtenrate <37+0 SSW in der Interventionsgruppe mit 0,5 Prozentpunkten knapp statistisch-signifikant über der der Kontrollgruppe (8,0% vs. 7,5%, p<0,05), die Frühgeburtenrate <32+0 SSW unterscheidet sich nicht statistisch-signifikant (0,8% vs. 0,9%; n.s.). Im Rahmen der logistischen Modellrechnungen weist das Merkmal „Gruppenzugehörigkeit“ keinen statistisch-signifikanten Beitrag zur Schätzung der Frühgeburtenrate auf (FG37: adjustiertes Odds-Ratio 1,05; 95%-Konfidenzintervall 0,99–1,12; FG32: 0,85; 0,72–1,02). Die durchschnittlichen Versorgungskosten für Schwangere mit Testkit-Anforderung fallen um 61,- Euro höher aus als für Frauen der Kontrollgruppe. Fazit: Die Effektivität und Effizienz der Intervention konnte nicht belegt werden. Weiterführende Analysen zeigen, dass nur ein geringer Anteil der Schwangeren die Testhandschuhe ausreichend früh angefordert hat, und im Falle einer bestätigten bakteriellen Vaginose nur selten leitliniengerecht therapiert wurde. Die vaginale pH-Selbstmessung konnte vor diesem Hintergrund möglicherweise keine Wirkung entfalten.