PiD - Psychotherapie im Dialog 2011; 12(2): 101
DOI: 10.1055/s-0030-1266150
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Psychotherapie per Mouseclick

Christiane  Eichenberg, Barbara  Stein, Henning  Schauenburg
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Publication Date:
14 June 2011 (online)

Bibliotherapie, Video-Konfrontationstherapie, Telefonberatung. Solche Formen medienunterstützter Interventionen gibt es schon lange. Die letzten Jahre haben aber noch einmal so einschneidende „mediale” Entwicklungen gebracht, dass die Frage nach einer neuen Stufe der Mediennutzung auch im Feld der Psychotherapie gerechtfertigt erscheint.

Psychotherapeuten sind also schon immer mit Mediennutzung konfrontiert, besonders bei den technologisch jüngeren Anwendungsformen (Therapien via virtuelle Realitäten, Online-Beratung, Chatroom-Therapien …) bewegen wir uns noch in einem Experimentierfeld. Es fehlen Strukturen, Standards, rechtliche und finanzielle Rahmenbedingungen. Der Datenschutz ist der Eigeninitiative überlassen. Andererseits spürt jeder, dass die mediale Welt vor den uns so wichtigen und oft sorgsam geschützten, therapeutischen „Räumen” nicht haltmacht, dass es gilt, sich vertraut zu machen mit dem was kommt, was uns, nicht zuletzt von unseren Patienten und Klienten, angetragen wird. Immer werden wir dabei sowohl mit den Verlockungen und Faszinationen als auch mit den Grenzen der neuen Möglichkeiten konfrontiert sein. Diese auszuloten und damit die „Räume” sowohl zu öffnen als auch an ihren Schutz zu gemahnen, das war das Motiv für dieses Heft.

Viele Fragen stehen am Anfang. „E-Mental-Health” oder gar „M-Mental-Health” (d. h. die äquivalente Anwendung von Mobilmedien wie Handy oder Palmtops): Was ist das? Wie funktionieren internetgestützte Behandlungsangebote? Welches Spektrum decken sie ab? In Deutschland darf eine Psychotherapie bislang nicht ausschließlich über Medien vermittelt erfolgen, sondern es muss der persönliche Kontakt gegeben sein. Dennoch werden moderne Medienanwendungen wie Webseiten, Chats, E-Mails oder SMS in den Bereichen Diagnostik, Prävention, Beratung, Nachsorge und auch Therapie begleitend eingesetzt. In welchem Spannungsfeld agieren hier Psychotherapeuten? Wie werden diese Medien im psychotherapeutischen Kontext konzeptualisiert? Welche Praxiserfahrungen gibt es? Und nicht zuletzt: Wie wirksam sind entsprechende Angebote?

Dass auch bei Patienten Interesse an der Integration moderner Medien in das psychosoziale Versorgungsangebot besteht, ist Kernergebnis einer aktuellen repräsentativen Befragung. Sie ergab, dass für gut die Hälfte aller deutschen Nutzer das Internet bei psychischen Problemen eine Anlaufstelle wäre. Online-Beratung würde dabei immerhin mit mittlerer Wahrscheinlichkeit genutzt (Eichenberg et al. 2010). Insofern ist es unsere Aufgabe als Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten uns mit diesen Nutzungsmöglichkeiten, aber eben auch mit den damit verbundenen Einschränkungen und Problemen zu beschäftigen.

Mit dem vorliegenden Heft möchten wir einen Anstoß zur Diskussion geben und freuen uns, wenn wir Sie, liebe Leserinnen und Leser, neugierig machen, auch wenn Sie vielleicht mit Vorbehalten reagieren. Beratung per SMS mit einer Beschränkung auf 160 Zeichen? Wie soll das möglich sein? Internettherapie? Werden wir jetzt durch den Computer ersetzt?

Nach einem einführenden Überblick über die Relevanz moderner Medien für die Psychotherapie sowie den damit verbunden Beziehungsänderungen, widmet sich der erste Teil des Hefts dem Internet als Informations- und Interventionsmedium bei psychischen Störungen. Es wird Fragen bezüglich der Effektivität und Konzeptionalität von Online-Beratung im Allgemeinen nachgegangen sowie den Möglichkeiten von Web-2.0-Anwendungen in diesem Kontext im Speziellen. Dabei konnten wir unsere vertraute Einteilung in schulenbezogene Artikel nicht aufrechterhalten. Zwar gibt es von verhaltenstherapeutischer Seite naturgemäß schon mehr durchstrukturierte medienbezogene Konzepte, aber faktisch ist das Thema eines, das alle Therapeuten betrifft und das viele auf je eigene Art nutzen. Am Beispiel einer E-Mail-Beratung für Studierende wird ein modellhaftes Vorgehen dargestellt. Gerade bei diesem Thema geht es aber auch wieder um die Frage nach Nutzen und Qualität von Informationsseiten zu psychischen Erkrankungen. Am Beispiel von Webseiten zum Thema „Trauma” wird versucht, Hinweise auf die Güte internetbasierter Informationen zu geben.

Im zweiten Teil greifen wir Themen auf, die die psychotherapeutisch relevanten Effekte der Internetnutzung in den Blick nehmen: Internetsucht, Foren für essgestörte Mädchen, die dieses Krankheitsbild idealisieren, stehen störungsspezifischen Angeboten gegenüber, die psychische Krankheit mittels moderner Medien versuchen zu behandeln (z. B. psychotraumatische Störungen). Dabei werden nicht nur verschiedene Interventionszeitpunkte berücksichtigt (z. B. Behandlung und Rehabilitation), sondern neben dem Internet noch weitere moderne Medien berücksichtigt (virtuelle Realitäten). Diskutiert wird abschließend, wie Psychotherapeuten den nicht nur gesetzlichen Verpflichtungen des Datenschutzes und der Datensicherheit nachkommen können.

In diesem Sinne wünschen wir eine anregende Lektüre des Heftes – für unsere Abonnenten wahlweise auch online …!

Literatur

  • 1 Eichenberg C, Blokus G, Brähler E. Einstellung von Psychotherapeuten und potenziellen Patienten zu internetbasierten Informations- und Interventionsmöglichkeiten. 47. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychologie, 26.–30. September 2010, Bremen
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