Zeitschrift für Palliativmedizin 2010; 11 - E2_1
DOI: 10.1055/s-0030-1265329

Palliativmedizin bei Menschen mit geistiger Behinderung

J Augustin 1
  • 1Palliativmedizin, Facharzt für Allgemeinmedizin, Aschheim, Germany

In Deutschland leben derzeit ca. 800.000 Menschen mit geistiger Behinderung (MgB). davon etwa die Hälfte mit schwerer geistiger Behinderung. Die Lebenserwartung vom MgB gleicht sich zunehmend derjenigen der Gesamtbevölkerung an.

Bei MgB stehen bei den Todesursachen Atemwegserkrankungen an erster Stelle, gefolgt von angeborenen Herzerkrankungen sowie an dritter Stelle Carcinome. Bei letzteren beobachten wir höhere Raten für maligne Tumore von Ösophagus, Magen, Gallenblase, sowie Leukämie, niedrigere Raten für Carcinome von Lungen, Prostata bzw. Nieren- und harnableitender Wege.

Kompliziert wird die palliativmedizinische Betreuung von MgB durch eine teils extreme Schmerztoleranz. Häufig ist das aktive Sprachvermögen je nach Grad der geistigen Behinderung eingeschränkt, das passive Sprachverständnis ist jedoch auch bei schwerster geistiger Behinderung meist gut erhalten. Harnblasenentleerungsstörungen und Obstipation treten gehäuft auf, was unter Opioid-Therapie berücksichtigt werden muss.

Häufig sind Seh- und Hörminderungen, welche die Kommunikation beeinträchtigen. Menschen mit geistiger Behinderung wünschen sich, dass man bei ihrer Behandlung mit ihnen spricht und nicht über sie. Hierdurch verbessert sich die Compliance von MgB erheblich.

Palliativmedizinische Betreuung von MgB erfordert intensive interdisziplinäre Zusammenarbeit auch unter dem Aspekt der Biografiearbeit. Dies ist unter anderem bei Autisten von großer Bedeutung. Bei der Versorgung von MgB, welche in Einrichtungen der Behindertenhilfe leben, ist die Anwesenheit des Arztes bei Teambesprechungen äußerst wichtig, um eine Behandlungsqualität auf hohem Niveau zu ermöglichen.

Moderne Tumortherapien sind bei MgB häufig gut durchführbar. Auch bei palliativem Ansatz kann oft eine gute Zeit bei erstaunlich guter Lebensqualität und subjektiv erstrebenswerter Lebensperspektive erzielt werden. Nebenwirkungen der Therapien können i.R. einer funktionierenden Teamarbeit recht gut erkannt und beherrscht werden.

Es ist unverzichtbar, MgB in den Entscheidungsprozess bzgl. einer Tumortherapie miteinzubeziehen. Geschieht dies in einer dem Grad der Behinderung angepassten leichten Sprache, bedeutet dies zwar einen teils erheblichen Zeitaufwand, beeinflusst aber die Durchführung einer Therapie absolut positiv.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Kenntnis des Betreuungsrechts.