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DOI: 10.1055/s-0030-1265299
Entscheidungen am Lebensende in der Notfall- und Intensivmedizin
Ärztliche Entscheidungen am Lebensende finden oft im emotionalen Spannungsfeld zwischen dem Gebot der medizinischen Behandlungspflicht, dem Patientenwillen und den rechtlichen Rahmenbedingungen statt. Arzt (& Patient) müssen eine Vielzahl medizinischer, ethischer, rechtlicher Gesichtspunkte bedenken. Aufgrund der Komplexität und Dynamik einer Erkrankungssituation, der persönlichen Wertevorstellungen und der kulturellen Rahmenbedingungen gibt es keine allgemein gültigen Algorithmen, so dass letztlich individuell entschieden werden muss (1). Im westlichen Kulturkreis wird das Selbstbestimmungsrecht der ärztlichen Entscheidung vorangestellt. Die Indikationsstellung einer Therapieoption obliegt jedoch dem Arzt und wird von diesem aufgrund medizinischer Überlegungen bezogen auf den individuellen Fall geprüft und eingefordert.
In der Notfallmedizin, die im deutschen Rettungswesen (Arzt & Ausstattung vor Ort) als vorverlagerte Intensivmedizin verstanden werden kann, stehen Diagnostik- und Therapiemaßnahmen zur Überwindung akut lebensbedrohlicher Erkrankungen und Verletzungen im Mittelpunkt des täglichen Handelns. Prinzipiell ist daher der therapeutische Ansatz der darin tätigen Ärzte zunächst immer kurativ und mit hohem Personal- und Materialeinsatz auf die Erhaltung des Lebens gerichtet. Von diesem Ansatz abzugrenzen sind jedoch lebensbedrohende Situationen, die die Endphase eine längeren malignen oder benignen, irreversibel verlaufenden Erkrankung (Lebensende) darstellen, respektive den Beginn des Sterbeprozesses markieren (können) in welchen ein palliativer Therapieansatz notwendig ist. Der Notarzt wird in solchen Situationen mit zusätzlichen Problemen konfrontiert: 1. Informationsdefizit bezüglich der Patienten-Erkrankung & -Willen bezüglich medizinischer Maßnahmen; 2. Zeitdruck bezüglich des Ergreifens oder Unterlassens von lebenserhaltenden Maßnahmen. Unter diesen Bedingungen die Gesamtsituation des Patienten einzuschätzen und gleichzeitig etwaige Therapieindikationen im Kontext der Prognose der Erkrankung und des Patientenwillens zu überprüfen ist schwierig. Ein noch einwilligungsfähiger Patient, eine konkrete schriftliche Patientenverfügung oder ein Vorsorgebevollmächtigter können hier den Notarzt in seiner Entscheidung unterstützen (z.B. Ablehnung von Reanimationsmaßnahmen). Lässt sich die Krankheitssituation nicht ausreichend einschätzen oder der (mutmaßliche) Patientenwille nicht ermitteln so hat der Erhalt des Lebens Vorrang.
Auf einer Intensivstation sind Zeitfaktor und Informationsunsicherheit für Entscheidungen unbedeutend, da die Krankengeschichte des Patienten vollumfänglich bekannt ist, jegliche weiterführende Diagnostik möglich ist und eine Fülle von intensivmedizinischen Therapieoptionen besteht. Aber gerade hier sind Patientenwille und im individuellen Kontext sinnvolle Indikationsstellung die vorrangigsten Prinzipien. Bei fortgeschrittener Erkrankung mit infauster Prognose sollte eine Änderung des Therapieziels von kurativ auf palliativ möglich sein, wie dies in den „Leitlinien zu Grenzen intensivmedizinischer Behandlungspflicht“ empfohlen wurde (2). Hier ist es Aufgabe des Intensivteams die Basisbetreuung mit Linderung von Schmerz, Atemnot, Durst, Hunger, sowie Zuwendung & Körperpflege zu leisten und ein menschenwürdiges Sterben zuzulassen. Für die Entscheidungsfindung stehen Arzt-Patienten-Dialog (Arzt-Bevollmächtigten-Dialog), die Entscheidung im Behandlungsteam und in besonderen Fällen die Unterstützung durch eine klinische Ethikberatung zur Verfügung. Nach den Ergebnissen der Ethicus-Studie ist Therapiebegrenzung (withholding, withdrawing) (76% der Todesfälle vs. 19,6% unter laufender Behandlung) auf europäischen Intensivstationen eine übliche Praxis (3).
Literatur: [1] Berufsordnung für dt. Ärztinnen &Ärzte. BÄK 2004, www.bundesärztekammer.de. [2] DGAI, Leitlinien zu Grenzen der intensivmed. Behandlungs. A&I 40:94–96, 1999. [3] C.L. Sprung et al. The Ethicus Study. JAMA, 290: 790–97, 2003