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DOI: 10.1055/s-0030-1265298
Grenzen onkologischer Therapien – grenzenlose onkologische Therapien?
Onkologie und Palliativmedizin sind eng miteinander verzahnt, da die Mehrzahl der palliativmedizinisch betreuten Menschen an Krebserkrankungen leidet. Mit zunehmendem Selbstbewusstsein von Palliativmedizinern und Sensibilisierung von Onkologen für palliativmedizinische Prinzipien treffen sich beide in den Grenzbereichen onkologischen Handelns. Es stellt sich früher und schärfer die Frage nach den Grenzen onkologischer Therapien. Beide Disziplinen nähern sich dieser Grenzzone vor dem Hintergrund unterschiedlicher beruflicher Sozialisationen und Strategien: Beide haben eine naturwissenschaftliche Ausbildung. In der Weiterbildung des Onkologen dominieren naturwissenschaftliche Themen während in der Weiterbildung des Palliativmediziners psychosoziale, ethische und spirituelle Themen dominieren. Der Onkologe denkt primär krankheitsorientiert, entscheidet nach pathophysiologischen Prinzipien und verschiebt die Grenzen krankheitsmodifizierender Therapien dank des medizinischen Fortschritts immer weiter nach hinten. Sein Erfolg definiert sich durch Krankheitskontrolle bei guter Lebensqualität. Er wird darin in der Regel von dem Patienten unterstützt, manchmal sogar getrieben, da für diesen die Krebserkrankung eine existentielle Bedrohung darstellt, die Fragen nach dem Warum und Wie zunächst in den Hintergrund treten lässt. Der Palliativmediziner orientiert sich dagegen primär an den Auswirkungen von Krankheit und Therapie auf den Betroffenen und sein Umfeld, er entscheidet symptomorientiert und thematisiert früh die Frage nach einer Therapiebegrenzung. Palliativmedizin hilft, den verständlichen Tunnelblick als Folge der existentiellen Bedrohung zu weiten und die Erkrankung und ihre Therapie stärker im Kontext des Wertesystems des betroffenen Menschen zu sehen. Onkologe und Palliativmediziner sollten sich bewusst sein, dass sie mit ihren komplementären Sichtweisen natürliche Verbündete gegen eine zunehmende Reglementierung ärztlichen Handelns durch ökonomische Zwänge sind.