Flugmedizin · Tropenmedizin · Reisemedizin - FTR 2010; 17(4): 164
DOI: 10.1055/s-0030-1263046
Journal-Club

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York

Alte Behandlungsstrategie in neuem Licht – Nasenspray verspricht schnelle und sichere Hilfe bei Motion Sickness

Weitere Informationen

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
16. August 2010 (online)

 

Bild: PhotoDisc

Simmons RG, Phillips JB, Lojewski RA, Wang Z, Boyd JL, Putcha L. The efficacy of low-dose intranasal scopolamine for motion sickness. Aviat Space Environ Med 2010; 81: 405-412

Thema: Mit steigender Reiseaktivität zu Lande, zu Wasser, in der Luft und dem Weltraum sowie der Zunahme virtueller Welten wird das Bewusstsein für das Thema Motion Sickness (MS) geschärft. Traditionell wird das Anticholinergikum Skopolamin zur Prävention einer MS eingesetzt. Die erfolgreiche Behandlung der Motion Sickness ist abhängig von der Geschwindigkeit des Wirkbeginns, der optimalen Dosierung und der Minimierung unerwünschter Wirkungen.

Oral verabreichtes Skopolamin erzielt die höchsten Plasmakonzentrationen nach etwa 1-2 Stunden, der therapeutische Effekt hält ungefähr 4-6 Stunden an.

Als problematischste Nebenwirkung ist Müdigkeit zu nennen. Weiterhin müssen Wirkverluste durch First-Pass-Metabolisierung und gegebenenfalls Erbrechen einkalkuliert werden. Transdermal appliziert dauert die Absorption von Skopolamin etwa 8 Stunden, durch die Anwendung über mehrere Tage können sich physiologische und kognitive Funktionsstörungen ergeben.

Die intranasale Applikation führt zu einer verbesserten Absorption, Effizienz und Bioverfügbarkeit bei gleichzeitig geringeren Nebenwirkungen unter Umgehung des hepatischen First-Pass-Effekts. Die Effektivität von intranasal appliziertem Skopolamin war bereits Gegenstand zahlreicher Studien, allerdings untersuchte keine der Studien schwerpunktmäßig die möglichen kognitiven Einschränkungen.

Projekt: In der randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Studie im Cross-over-Design unterzogen sich 16 gesunde Probanden mit gültiger Flugtauglichkeit und bekannter Anfälligkeit für Kinetose einem Desorientierungstrainer. Dieser ist in der Lage, passive gekoppelte Coriolis-Effekte zu erzeugen, indem Probanden kombiniert vertikal und horizontal rotiert werden. An 2 Testtagen wurde der gleiche Testablauf im Stufenprofil, also mit kontinuierlicher Steigerung der Belastung, durchgeführt.

Einmal erhielten die Probanden 40 Minuten nach Applikation 0,4 mg Skopolamin intranasal, einmal Placebo. Endpunkte des Versuchs waren eine mehr als 1 Minute anhaltende moderate Übelkeit, die Bitte um Beendigung der Stimulation oder eine maximale Rotationsgeschwindigkeit von 40 rpm. Die Medikamentenwirkung ließ sich durch den Vergleich der Anzahl von jeweils tolerierten Kopfbewegungen der Probanden nach Skopolamin versus Placebo feststellen.

Die Symptome wurden anhand eines Symptomberichts, der sich aus dem "Pensacola Motion Sickness Questionnaire" herleitet, ermittelt. Zur Objektivierung der kognitiven Funktion dienten einzelne Tests des "Automated Neuropsychological Assessment Metrics Readiness Evaluation System" und "Automated Neuropsychological Assessment Metrics". Zur Beurteilung des Einflusses von intranasal appliziertem Skopolamin auf die Aufmerksamkeit wurde der "Karolinska Sleepiness Scale" angewandt. Die Bioverfügbarkeit zu unterschiedlichen Zeitpunkten konnte durch wiederholte Messung der Plasmakonzentrationen bestimmt werden. Zusätzlich wurden zu verschiedenen Zeitpunkten der Stimulation Blutdruck und Herzfrequenz aufgezeichnet.

Ergebnisse: Die intranasale Applikation von 0,4 mg Skopolamin erhöhte die Anzahl der tolerierten Kopfbewegungen bei provokativen Bewegungen statistisch und klinisch signifikant (Skopolamin M = 275,9; SD 120,5; Placebo M = 230,7; SD 76,4 bei p < 0,05). Eine höhere Dosis des Medikaments ging mit einem Anstieg der Anzahl an tolerierten Kopfbewegungen einher. Messbare Plasmakonzentrationen von Skopolamin lagen bei 11 von 16 Teilnehmern bereits nach 15 Minuten vor. Der diastolische Blutdruck sowie die Herzfrequenz fielen im Mittel in der Verumgruppe niedriger aus als in der Placebogruppe. Signifikante Unterschiede bezüglich der Aufmerksamkeit und kognitiven Funktion ergaben sich nicht.

Fazit: Intranasales Skopolamin in niedriger Dosierung wirkt schnell, sicher und ohne relevante Nebenwirkungen gegen Kinetose. Die rasche Absorption lässt sich an der Veränderung von Herzfrequenz, diastolischem Blutdruck sowie der Plasmakonzentration ablesen. Dabei scheint die gemessene Blutkonzentration hoch genug zu sein, um effektiv zu wirken, gleichzeitig wird der Schwellenwert für Nebenwirkungen nicht erreicht.

Die Resultate bezüglich Wirksamkeit und Absorptionsverhalten stimmen mit der Literatur überein. Neue Erkenntnisse sind die gute Verträglichkeit und das Fehlen von relevanten Nebenwirkungen.

Dr. Verena Knie, Fürstenfeldbruck

    >